Freitag, 21. März 2008

Zeugen der Nacht

Einem Mädchen zu erklären, dass man neben ihr aufgewacht und dann still und heimlich geflohen ist, ist nicht wirklich etwas das man vor dem Mittagessen machen sollte. Normalerweise erklärt man auch niemandem sowas, da man ja schließlich schon lange vor dem Mittag abgehauen ist. Nur hat man halt manchmal das Problem, dass man zu ihr zurück gehen muss, da man irgendwie nicht weg gekommen ist.
Und da man so etwas nicht vor dem Mittagessen macht, sitzen Miranda und ich in der Küche und warten auf zwei Lasagnen aus der Mikrowelle. Wobei sie ebenfalls sämtliche Fragen freiwillig auf einen Zeitpunkt nach der Mahlzeit verschoben hat. Dies könnte aber auch daran liegen, dass sie sich wohl auch noch nicht so ganz sicher ist wo oben und unten ist. Aber irgendwann haben wir beide aufgegessen, und sie stellt mir die unausweichliche Frage.
„Was machst du hier überhaupt?“
„Nun, ja ich bin aufgewacht, und dann...“ In dem Moment klingelt es an der Tür. Da ich noch immer wesentlich sicherer auf den Beinen bin als Miranda gehe ich zu Tür.
Draußen stehe zwei Zeugen Jehovas.

Ich mag die Zeugen nicht, sie nerven und rauben sinnlos meine Zeit. In meiner Bude habe ich für solche Leute einen eigenen Schutzmechanismus entwickelt, denn einfach Stromstöße reichen bei ihnen selten. Nein, auf Knopfdruck öffnet sich ein Fach in dem ein gekühltes Bier und eine Zigarre wartet dazu startet im Hintergrund von einem Beamer projiziert ein Porno. Dann lade ich sie freundlich auf ein Bier ein, und frage sie ob sie den XXXorzisten schon kennen. Im Normalfall bekomme ich einen Kommentar, dass meine Seele in die Hölle wandern wird. Woraufhin ich sie normalerweise frage, ob ihnen ein Schwulenporno lieber währe, den müsst ich aber erst aus der Videothek holen. Dann geben sie auf. Meine Seele rette ich allemal selbst!
Was mich aber noch mehr stört als ihre Penetranz ist, dass man sich nicht einmal richtig lustig über sie machen kann, weil Typen wie Mittermeier schon alle guten Gags verbraten haben. Mal ehrlich, wenn ich einen Text über ein Gespräch an der Tür mit Zeugen Jehovas schreiben müsste, ich würde es lassen. Oder ihn nach zwei Zeilen damit abschließen, dass die Hauptperson die Tür zuschlägt.

Noch bevor sie „Dürfen wir mit ihnen über Gott und die Welt reden“ sagen können, schlage ich die Tür zu und gehe zurück in die Küche.

Auf dem Flur begegne ich Miranda die natürlich wissen will wer da war.
„Zeugen.“ meine ich knapp.
„Echt?“
„Ja.“
„Und du hast die weg geschickt?“
„Natürlich.“
„Warum, ich sammle die!“
„?!?“
Sie ignoriert meinen Einwand und stürmt zur Tür. Die Zeugen gehen grade.
„Halt wartet, ich möchte mit euch über Gott und die Welt reden!“ brüllt Miranda ihnen hinterher. Die beiden drehen sich verwundert um.
Während ich mich frage, was sie mit sammeln meint schleife ich mich zu Tür zurück um aus nächster Nähe zu beobachten wie Miranda die beiden Spinn.. tschuldigung, Geistlichen einlässt. Als der zweite an mir vorbei geht ziehe ich einen Autoschlüssel aus seiner Tasche. Auch wenn zu dem Schlüssel zweifelsohne ein lindgrüner Japaner gehören wird, vielleicht muss ich ja von hier fliehen, weil die Geistl.. tschuldigung Spinner irgendwelche heiligen Rituale zu ehren des Zitronenbaumes anstimmen. Oder so.

Sie lassen sich in der Küche nieder und keinen Augenblick später geht es schon bunt über lästerliches Leben, und die Religion und den Einzug ins Himmelreich und die Unreinheit von Hackfleisch. Klar, dass die sich den Gammelfleisch Skandal zu nutze machen.

Naja wenn die schon mal da sind kann ich mich auch dazu gesellen. Ich nehme mir einen Kaffee und unterbreche das Gespräch mit den Worten.
„Und Jesus schon wieder zurück aus dem Heimaturlaub?“
Ich ernte zwei leicht verzweifelte Blicke. Dann meldet sich einer zu Wort und meint:
„Seit 1874 weilt er unter uns.“
„Dann ist der Knabe inzwischen 133 Jahre alt? So eine Krippengeburt scheint Jung zu halten, sollte man mal den Krankenkassen vorschlagen.“
„Jesus Wiedergeburt fand nicht in einer Krippe statt.“
„Oh, naja, ist aber schon etwas ohne Stil oder?“
„Die Wiederkunft Jesu hat nichts mit Stil zu tun!“
„Aber, so ein Stall muss doch sein. Gehört doch einfach dazu, und Ochse Esel die drei Betrunkenen aus dem Morgenlande.“
„Es geht nur um die Taten.“
„Sag ich ja, obwohl ich da schon gerne die Fernsehrechte dran hätte.“
„Ihre Einstellung gefährdet die Reinheit ihrere..“
„Ja, ja schon klar. Wie läuft es eigentlich so mit den letzten Tagen und so?“
„Die Letzten Tage haben begonnen...“
„Und Harmagedon ist nicht mehr weit“ unterbreche ich ihn.
„Nur mit uns könnt ihr eure Seele Retten. Nur die Zeugen Jehovas unterstehen dem Schutz Jesu. Alle anderen werden vergehen mit dem Ende der alten Welt, der Welt wie wir sie kennen.“

Ich überlege ob ich ihn fragen soll ob die Kakerlaken dieses Ende auch überstehen, wie bei einem Atomkrieg, oder so. Stattdessen entscheide ich mich zu einer anderen Frage.
„Und hilft es nicht einfach Bruce Willis mit einem umgebauten Spaceshuttle auf den Asteroiden zu schicken und ihn dort mit einem nuklearen Sprengkopf zu zerstören, um Harmagedon zu beenden“
Die beiden schauen mich verständnislos an.
„Das war Armageddon“ meint Miranda schließlich. „Kann ich dich mal sprechen?“ fügt sie an.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du dich mit den Spin.. äh Typen unterhältst.“ meine ich.
„Spinner trifft es schon ganz gut.“
„Du hast gesagt du sammelst die?“
„Genau, und dazu muss ich sie rein lassen.“
„Was meinst du mit sammeln.“
„Im Stall gibt es ein paar Zellen die voll werden müssen.“
„WARUM?“
„Wenn ich 144.000 voll hab komm ich in den Himmel.“
„?!?“
„War ein Scherz, aber es ist schon nett, wenn hier ein paar Zeugen verschwinden kommen immer mehr.“
„Du sammelst die wirklich?“ meine ich trocken.
„Japp.“
„Psychopat.“
„Du auch.“
„Will ich sehen.“
„Klar, aber erstmal müssen wir die Beiden überreden mit in den Stall zu kommen.“
„Ok, ich erkläre ihnen, dass in unserem Stall letzte Nacht ein Baby geboren wurde und, dass es der neue Jesus ist.“ schlage ich vor.
„10 Euro wenn du es nackt machst.“ meint sie.

Wenig später setzen wir uns als wäre nichts gewesen zurück in die Küche.
„Wissen sie..“ Beginne ich das Gespräch in die richtige Richtung zu lenken.
„Warum sind sie nackt?“ werde ich entsetzt von einem der Zeugen unterbrochen.
„Ich trage eine Kaffeetasse.“ erwehre ich mich der Anschuldigung.
„Aber...“
„Nichts aber, es gibt wichtigeres als meine unvollständige Bekleidung.“
„Aber,..“ setzt er erneut an.
„Und zwar das Pärchen mit dem Kind im Stall.“
„Pärchen?, Kind?...“ Er scheint immer noch ziemlich verwirrt, sein Kumpane sagt gar nichts mehr.
„Stall.“ Setze ich seine Aufzählung fort. „Da draußen seit gestern Abend.“
„Ich verstehe nicht.“ gibt der Andere zu.
„Im Stall ist ein Pärchen, und seit gestern Abend auch ein Kleinkind.“
„Wie?“ Die beiden sind echt schwer von Begriff.
„Gestern Nacht wurde im Stall da draußen ein Kind geboren. Weswegen der Ochse und der Esel auch die ganze Nacht geschrien haben. War echt nicht auszuhalten. Eines der Schafe musste ich heute morgen sogar erschießen.“
„Ist das wahr?“
„Naja, bis auf das erschossene Schaf schon.“
„Warum, haben sie die nicht ins Haus gelassen?“
„Wollten mit mir nicht über Gott und Welt sprechen. Aber viel interessanter finde ich, dieses seltsame leuchten, welches die ganze Nacht aus dem Stall kam. Obwohl darin gar kein Strom ist.“
„Leuchten?“
„Ja und seltsame liebliche Musik, beinahe schon Lärmbelästigung.“
Während der einzige der im Moment der Sprache mächtig zu sein scheint immer noch nicht versteht, platzt es aus dem anderen heraus.
„Dürfen wir es sehen?“
„Natürlich, ich ziehe mir nur eben was an.“

Wenig später öffne ich den Stall. „Wo sind sie, wo sind sie?“ wollen die beiden Zeugen aufgeregt wissen. „Folgt mir“, meint Miranda und geht voraus. Sie öffnet in dem ziemlich normal wirkenden Stall eine Klappe im Boden und klettert hinunter. Drunten ist es stockfinster. Als wir alle unten sind tastet sich Miranda an der Wand lang. Plötzlich wird es hell. „Guten Morgen“ ruft Miranda vom Lichtschalter aus und langsam regt sich Leben in den Stahlgitterzellen. Unsere beiden Begleiter sind starr vor Schreck. Miranda öffnet eine leere Zelle und winkt den beiden freundlich zu.
„Kommt hier lang.“ ruft sie.
„Aber, aber all die Leute?“ stottert einer der Beiden der seine Sprache wieder gefunden hat.
„Ach die sind schon länger hier.“ meint Miranda.
„Das ist ja Uwe!“ bricht es aus dem anderen plötzlich hervor, er rennt rüber zu einem Käfig. Uwe erhebt sich müde von einer Pritsche. Und starrt seinem Besucher entgegen.
Er gähnt und begrüßt ihn mit „Hallo Klaus.“
„Mensch dich hab ich ja ewig nicht gesehen, was machst du denn hier?“

„Kommt eure Zelle wartet“ ruft Miranda den beiden zu und unterbricht somit das Gespräch.
„Zelle?“ meint Klaus.
„Ja.“ antwortet Miranda.
„Aber, aber, das ist doch...“
„Gar nicht so schlimm“ unterbricht Uwe ihn.

Nachdem alle anwesenden der Meinung sind, dass es besser wäre wenn die beiden Neuankömmlinge einfach die Zelle beziehen mache ich mit Miranda einen Rundgang. Zugegeben, die Neuen mussten erst einmal überredet werden, aber nachdem ihnen klar wurde, dass sie keine Alternative haben...
„Sag mal warum, waren die anderen denn auch dafür, dass die beiden hier bleiben?“ frage ich Miranda.
„Das wirst du gleich sehen.“
„Wir befinden und hier im Schlaftrackt“ beginnt Miranda die Führung. Wir sehen einige Zellen. Sie sind zum Teil von nur einem aber auch von bis zu vier Menschen belegt. In einem steht ein Doppelbett. In einem anderen liegt nur Stroh.
„Warum liegt den hier Stroh rum?“ frage ich Miranda, da überall sonst es wesentlich aufgeräumter aussieht.
„Und warum hast du ne..., lass die Scherze.“ meint sie.
„Nein, ich wollt wissen warum er hier kein Bett hat?“
„Er will keines.“
„Stimmt“ mischt sich der bärtige Insasse ein, „auf Stroh schlafen ist besser für den Rücken.“

„Natürlich können sie die Zellen verlassen wenn sie es wollen, nur den Keller nicht. Wir haben uns darauf geeinigt, dass ich sie in den Zellen einsperre wenn ich hier unten bin. Um den Stil zu wahren.“ Wir kommen an eine Sofaecke mit großem Fernseher vorbei, angeschlossen an ihn eine Wii und eine PS2.
„Die PS3 kommt nächste Woche“ erklärt Miranda.
Weiterhin zeigt sie mir ein Billardzimmer eine Küche und einen kleinen PC-Pool.
„Ich hab hier eine DSL-16000 Leitung reingelegt, du würdest nicht glauben wie scharf die auf CS sind.“
Als wir an einer Kapelle vorbei kommen erklärt mir Miranda, dass die Insassen diese haben wollten, worauf Miranda sie eingerichtet hat. Nachdem ich ein kleines Schwimmbad und eine Sauna bewundert habe frage ich Mirnada wie sie das Ganze finanziert.
„Nun zum ersten verkaufe ich die Autos mit denen sie kommen Außerdem haben wir uns darauf geeinigt, dass sie Dinge herstellen die ich dann verkaufe, wie Portmonees zum Beispiel. Auch an den Büchern die sie so schrieben verdiene ich mit. Das läuft ganz gut. Soll ich dir mal meine Sammlung zeigen?“
„Warum nicht..“ ich bin immer noch leicht verwirrt.

„Pete in der Zelle mit dem Stroh kennst du ja schon er entwirft Schlafsäcke. Die Bundeswehr überlegt ob sie sich welche von ihm anschaffen soll. Das dahinten sind Katrin und Gerald, Katrin ist schwanger. Ich denke das wir hier bald den ersten in Gefangenschaft geborenen Zeugen haben werden.“ Ich begrüße die beiden.
„Uwe dahinten hat die letzten drei Stephen King Romane ins deutsche übersetzt. Und Robert da leihe ich immer mal an Pornoproduktionen aus.“
Nach einer Weile hat sie mir ihre zwanzig „Exponate“ vorgestellt. Sie scheinen alle erstaunlich glücklich. Auch die beiden Neuen unterhalten sich schon angeregt mit ihren Nachbarn. Wir gehen derweil zurück ins Haus.

Wieder in der Küche kommt zu meinem Unglück bei ihr die Erinnerung an das Gespräch vor den Zeugen zurück.
„Du wolltest mir irgendwas erklären.“
„Ja wo war ich stehen geblieben?“ frage ich als ich mich setze.
„Wir waren da stehen geblieben wo du mir erklären wolltest was du hier machst.“
„Ah, ja. Erinnerst du dich an letzte Nacht?“
„Nein.“ Sehr gut.
„Gut!. Also wir waren da auf einer Feier, richtig?“
„Japp und da denke ich, dass...“
In diesem Moment geht die Tür auf, herein tritt ein Mädchen das etwas jünger sein muss als Miranda. Sie trägt einen Hose und ein BH aus Seide mit Spitze, bei dem mir auf den ersten Blick auffällt das ich ihn schon mal in der Hand gehabt haben muss.
Miranda erkennt meinen Blick, erkennt aber zum Glück nicht mein entsetzen. Sie schickt das Mädchen raus mit den Worten. „Manuela, geh dir was anziehen.“
„Das ist meine Schwester“ meint sie dann zu mir.
Ganz ruhig denke ich mir, das mit dem BH kann ein Zufall sein, davon gibt es sicher dutzende in diesem Haus.

Noch einmal öffnet sich die Tür. „Ich hab das hier in meinem Zimmer gefunden, jetzt geh ich kotzen.“ Sie wirft ein Portmonee zu uns rüber und tut dann wie sie angekündigt hat.
Während ich die Würgegeräusche aus dem Bad höre stelle ich erschrocken fest, dass es sich um meinen Geldbeutel handelt. Meine Börse in ihrem Zimmer.
Ganz ruhig denke ich bei mir selbst, das kann ein Zufall sein..

Miranda unterbricht meine Überlegungen, wie zum Teufel das tatsächlich ein Zufall sein könnte.
„Du wolltest mir erklären, was du hier machst...“


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