Nach einer sehr aufreibenden Fahrt komme ich tatsächlich bei meiner lieben Familie an. Natürlich nicht ohne die für die Bahn übliche halbe Stunde Verspätung. Am Bahnhof holt mich mein männlicher Generatori ab, um mich mittels einer vierrädrigen pferdelosen Kutsche zu unserem kleinen Häuschen in meinem ebenso kleinen Heimatdorf zu fahren.
„Und was gibt’s neues?“, frage ich um eine gepflegte Konversation einzuleiten.
„Ach, Jack ist gerade da...“
WAS?!?! Mist! Er hat es geschafft. Das ist nicht gut, gar nicht gut. Jack ist mein zwei Jahre älterer Bruder, aber das ist nicht schlimm. Auch nicht schlimm ist, dass zwischen uns, seit wir laufen können ein Wettbewerb läuft, in dem es darum geht dafür zu sorgen, dass dem anderen irgendetwas seltsames zustößt. So bleibt wenn wir beide zusammen sind ganz bestimmt einer mit dem Fuß im Kanalschacht hängen. Oder es bekommt jemand einen Stromschlag, oder ertrinkt beinahe in der Dusche, die sich zufällig bis zur Oberkante der Duschkabine mit Wasser füllt wobei die Tür sich nicht öffnen lässt. Oder der Rasenmäher explodiert. Solche Zufälle halt.
Und genau da ist das Problem. Er weiß das ich komme, ich nicht. Er ist vorbereitet, ich nicht.
Mein Vater erzählt weiter, ich höre ihm nicht mehr zu sondern überlege fieberhaft was ich noch auf die Schnelle improvisieren könnte um nicht ganz ins Hintertreffen zu geraten.
„Ich muss noch ein paar Dinge einkaufen, die ich unbedingt brauche damit ich auch zu Hause weiter arbeiten kann.“ Meine ich zu meinem Fahrer und garantiere damit, dass er keine Fragen stellen wird und den Kram auch bezahlt.
Also fülle ich an der Tankstelle eine Bierflasche mit Benzin (die Leute reagieren so toll, wenn man an der Kasse 0,5l Super bezahlt), besorge Abführmittel (kann man immer gebrauchen) und Kondome (Meine sind mir irgendwie ausgegangen) in der Apotheke, und dazu ein paar Batterien, Kabel, ein gebrauchtes Handy, Handschellen, und ein Katzenbaby.
Nun wenigstens etwas vorbereitet erreichen wir das altbekannte Elternhaus. Mein alter Herr fährt das Auto in die Garage, und ich trage meine Taschen zur Eingangstür. Während ich klingel wundere ich mich über den weißen Opel Kombi auf dem Hof. Jack wird sich doch wohl nicht so eine Schüssel zugelegt haben. Da öffnet sich auch schon die Tür und vor mir steht ein mir unbekannter dicklicher Mann mittleren Alters in einer grauen Kordhose und gelben Flanellhemd.
Ich schaue ihm ins Gesicht, beschließe dass ich hier falsch sein muss und schlag die Tür wieder zu. Einen Augenblick später kommt mein Vater um die Ecke, ich halte ihn auf.
„Wir sind hier falsch!“
„Hä?“
„Da ist ein seltsames Individuum, welches mir die Tür geöffnet hat.“ bringe ich ihn ins Bilde.
„Das ist Stefan, Avelins neuer Freund. Hab ich dir doch schon im Auto erzählt, dass er da ist.“
Ich hätte doch länger zu hören sollen. Avelin ist übrigens meine Schwester, sie heißt eigentlich Birgit lässt sich aber von allen Avelin nennen. Ich habe ihr vor vier Monaten zusammen mit meinem Bruder einen Keuschheitsgürtel zum 18ten Geburtstag geschenkt. Wir waren uns beide einig, dass sie ihn gebrauchen kann. Seit sie ihn einmal angezogen hat und feststellte, dass der Schlüssel nicht passt spricht sie kein Wort mehr mit mir. Nun ja, mit Hilfe eines fähigen Schlossers wird sie ihn inzwischen sicherlich aufbekommen haben.
Ich öffne also mutig die Tür, um dieses mal meinen Bruder anzutreffen. Besser. Wir begrüßen uns mit einer obligatorischen Bruderumarmung, um uns hinterher in ein stilles Eckchen zu verkriechen um den Zettel, welchen der jeweils andere am Rücken befestigt hat, zu entfernen. Ich finde einen mit einem Java Quellcode der, wenn kompiliert, endlos Emails an das gesamte Adressbuch schickt, mit der Aufforderung mich beim Umzug nach Bosnien zu unterstützen. Er lacht über einen C++ Quellcode, der erstmal die aktuellen Preise für eine Penisverlängerung aus dem Internet abruft, danach alle Windows Fehlermeldungen auf „Sie sind nicht ausreichend bestückt um dieses Programm auszuführen“ umschreibt und schließlich in einer Endlosschleife den Cash füllt und so den PC zum Absturz bringt.
Wie in den guten alten Zeiten.
Selbstverständlich begrüße ich auch den Rest der Anwesenden. Natürlich nicht ohne das übliche schön-dich-kennen-zu-lernen-Geschwafel von Stefan im Keim mit einem gezielten Tritt in seine Familienjuwelen zu unterbinden.
„Oh, das tut mir leid nach dem langem Sitzen im Zug machen die Gelenke noch nicht was sie sollen, diese Züge sind einfach viel zu eng.“ Entschuldige ich mich.
„Schon OK“ erwidert er mit einer auffallend hohen Stimme.
Der Rest des Vormittags verläuft ruhig, bis auf eine Explosion im Flur die meine Hausschuhe zerlegt hat, kurz bevor ich sie anziehen wollte, und eine spontane Entzündung des Briefkastens als mein Bruder die Post holen wollte (was lustiger weise auch sein T-Shirt in Mitleidenschaft gezogen hat).
Zum Mittag sitzt dann die gesamte Familie, mit dem einzelnem Anhang Stefan, um den Esstisch.
Peinlich genau achte ich darauf Teller und Bestecke zu benutzen bei denen Jack nicht rechnet, dass ich sie nehme. Außerdem fülle ich mir alles was ich esse selbst auf. Jack macht es ebenso. Meine Eltern sind diese Show gewohnt. Vielleicht wegen unsere gegenseitigen Vorsicht, aber auf jeden Fall bleibt das Essen aus dieser Sicht her ruhig. Die Ruhe zerreißt das zu erwartende Gespräch mit Stefan, welcher natürlich diverse Dinge über die Brüder seiner Angebeteten wissen muss. Man hätte denken können, dass sie ihn gewarnt hat keine dummen Fragen zu stellen.
„Und was studierst du?“
„Physik“ Antworte ich mit vollem Mund.
„Ach Physik... Das hab ich in der Schule immer gehasst“
Wie ich diese Antwort verabscheue. Ich binde doch einem McD-Sklaven auch nicht auf die Nase, dass ich Hackkuh in labbrigen Brötchen als Kind nicht mochte. Die angespannte Stille am Tisch beweist mir, dass alle anderen um meine Verachtung gegenüber dieses Satzes wissen.
„Ja so geht es vielen“ halte ich mich zurück.
„Aber wo du doch vom Fach bist, wusstest du das die Indianer schon die Quantenmechanik kannten?“ Oh nein, so einer ist das, jetzt kann ich mir den Rest des Tages von ihm Schwachsinn über Dinge anhören von denen er keine Ahnung hat.
„Klar, aber wusstest du, dass Gespräche über dieses Thema im gefährlichen Maße Gehirnzellen vernichten?“
„Wie?“
„Du weißt doch sicher, dass Gehirnzellen bei bestimmten Aufgaben dauerhaft vernichtet werden. So verliert man beim Sprechen über Geschlechtsverkehr 3 Zellen pro Minute, bei Fachgesprächen über Autos fünf, und beim Diskussionen zwischen Physikern und Ungebildeten über die Quantenmechanik sollen schon einige ihren Kopf verloren haben“ Ich funkle ihn gereizt an. Avelin versteht was ich damit sagen wollte und versucht das Gespräch auf Hündchen zu lenken. Aber er bleibt hartnäckig.
„Also das mit dem Verlust von Gehirnzellen hab ich auch schon gehört,..“ So ein Klugscheißer. „Aber, dass es bei dem Thema so extrem ist wusste ich gar nicht.“
„Doch, doch. Besonders wenn Motorsägen im Raum sind.“
„Oh..“
„Und es kommt sogar noch schlimmer. Bei Gesprächen über Computer werden es sogar noch mehr.“
„Ich wusste schon immer, dass diese Dinger nichts gutes Bringen. Zum Glück habe ich keinen, und was haben die Teile uns auch je gutes gebracht? Frage ich dich.“
Ich kaue besser weiter. Jack wird auch auffallend still.
„Eben, nichts“, fährt er fort „die gesamte Technik ist ein Schritt in die falsche Richtung. In meiner Diskussionsgruppe zum Thema „Technik und Fortschritt“ ist es gängige Meinung, dass gerade die Technik in den Städten völlig überzogen ist, und man ohne Elektrizität in Großstädten besser leben könnte“
Der Typ meint das ernst.
„Ja und dann erst die moderne Fahrzeugtechnik“ Mal schauen zu welchen Aussagen ich ihn noch treiben kann.
„Der Ottomotor ist ein Schritt in die völlig falsche Richtung gewesen, die Umweltverschmutzung kommt doch nur von unseren Fahrzeugen.“ Jack verschluckt sich, alle anderen schauen vorsichtshalber an die Decke.
„Was ja auch am modernen KAT liegt“ werfe ich ein. Jack kann vor lachen kaum noch essen.
„Ja, ganz meine Rede, deswegen hat mein Opel ja auch keinen. Diese Dinge haben den Treibhauseffekt potenziert. Und schuld daran ist nur die Gentechnik.“ Die Erklärung überrascht sogar mich, im Moment frage ich mich ob er mich veralbern will. Seine weiteren Ausführungen überzeugen mich davon, dass er es tatsächlich ernst meint.
Ich melde mich freiwillig das Kompott zu holen. Jack kommt natürlich mit. In der Küche mische ich, so das Jack es nicht sieht, Abführmittel in eine der Schalen. Natürlich weiß ich, dass er es trotzdem gesehen hat. Genauso wie ich gesehen habe, dass er auf einen der Griffe der Löffel ein wirklich hervorragendes Juckpulver gestreut hat. Das Zeug ist in der gesamten EU verboten. Wer den Löffel bekommt wird sich den Rest des Tages kratzen.
Um so erstaunter ist er, dass ich die präparierte Schale nicht vor ihn sondern vor Stefan stelle. Er schaut mich kurz verdutzt an. Ich nicke ihm zu und er legt den Löffel ebenso zu ihm.
Zur allgemeinen Mittagsruhe beschließe auch ich es mir vor dem Fernseher gemütlich zu machen. Natürlich läuft zu dieser Tageszeit nur Schund, aber schließlich finde ich auf Eurosport Fußball. So freue ich mich, bei schonender Belastung, Entspannung zu finden. Stefan setzt sich zu mir. Ich ignoriere ihn in der begründeten Hoffnung, dass er bald aufs Klo muss.
„Willst du das sehen?“
„Ja“
„Schade“
Da ich weiß, dass mir die Antwort nicht gefallen würde frage ich ihn nicht.
„Ich würde nämlich gerne was anderes sehen.“
Ich nehme ihn mental entgültig in meine Ignorelist auf.
„Da kommt nämlich auf RTL so eine Gerichtssendung, und die würde ich gerne sehen.“
Er erwartet doch nicht etwa, dass er darauf tatsächlich eine Reaktion bekommt. Diese Gerichtsshows sind der stumpfste Blödsinn der momentan im Fernsehen läuft. Als ob ich mir schlechte amateurhafte Schauspieler ansehen will, die sich die Augen ausheulen weil sie dafür verklagt werden, dass sie die Scheune von dem puffbesitzendem Bauern abgefackelt haben, wobei eine preisgekrönte Kuh zu Barbecue verarbeitet wurde, und das alles nur weil er 1985 beim Kekswichsen in der DDR verloren hat. Bevor ich das mache bringe ich mich lieber um. Oder noch besser ihn.
„Weist du ich schau die so gerne, weil ich doch früher selbst zwei Semester Jura studiert habe, und das ist so praxisnah.“
Ich überlege ob ich ihm die Fernbedienung quer in den Hals rammen sollte. Als ob die Dinge irgendetwas mit der Realität zu tun hätten. Immerhin kann ich jetzt etwas über ihn heraus finden.
„Und dann hast du aufgehört?“ Er beginnt sich leidenschaftlich zu kratzen.
„Ja ich fand es nicht so fordernd wie mein Medizinstudium zuvor, und Theologie hat mich schon immer fasziniert.“
„Also machst du Theo?“
Nachdem er begriffen hat was ich mit Theo meine, meint er.:
„Nein, nein ich bin über Lehramt Englisch zur Philosophie gekommen, und das ist ganz toll.“
Also das Juckpulver wirkt definitiv, jetzt erwarte ich nur noch das Abführmittel.
„Und wie lange bist du schon in der Philosophie?“
„Schon drei Semester, und ich mach es auf jeden Fall weiter.“
Er verkneift das Gesicht, was ich als ein Zeichen dafür deute, dass ich bald meine Ruhe haben werde.
„Na dann kannst du ja endlich mit dem Taxi fahren anfangen.. Meinst du nicht, dass du aufs Klo solltest?“
Ein lautes Gurgeln aus seinem unteren Bereich bestätigt meine Vermutung. Und kaum einen Augenblick später bin ich ihn los.
Doch die Tür fällt nicht einmal zu bevor Jack herein kommt.
„Ein wunder, dass du es so lange mit dem Kerl in einem Raum aushältst.“
„Ja, das Wissen, dass er bald aufs Klo muss hat mich am Leben gehalten. Ich hoffe du hast..“
„Das Klopapier mit Juckpulver eingestreut? Ja hab ich.“
„Gut das wird sich perfekt mit dem Chilipulver mischen.“
Jack setzt sich zu mir und meint:
„Du bist noch immer ein genauso großer Bastard wie früher.“
„Japp, du auch. Aber um mir das zu sagen bist du nicht hier her gekommen.“
„Nein, es geht um Stefan.“
„Er ist ein Depp, aber es ist nichts neues, dass Avelin mit solchen Typen ankommt.“
„Er versteht einfach nicht, dass er hier unerwünscht ist.“
„Wie hast du denn versucht es ihm mitzuteilen?“
„Ach, dass übliche, LSD in seiner Wasserflasche, vier gleichzeitig platzende Reifen an seinem gammeligen Opel, Farbe im Haarwaschmittel..“
„Las mich raten, es hat eine Woche gebraucht bis er sich das erste mal mit der Farbe die Haare gewaschen hat?“
„Acht Tage. Ich hab ihm sogar im Traum eine Nachricht seiner Eltern zukommen lassen, dass sie sterben werden und so.“
„Der Trick mit dem Hanf, den Schauspielern, der alten Zahnbürste und der Lasershow?“
„Ja genau der.“
„Hm, der Typ ist zäh das muss man ihm lassen. Und genau lassen könnten wir das ganze auch, schließlich sind wir ja nicht daran Schuld, dass er ein Depp ist und hier rumhängt.“
„Ähm, doch sind wir.“
„Wie bitte?“
„Er ist der Sohn von dem Schlosser der Avelins Geburtstagsgeschenk wieder geöffnet hat.“
„OK, wenn das so ist arbeiten wir zusammen.“
„Waffenstillstand?“
„Bis der gemeinsame Feind bezwungen ist? Nein, ich hab da eine bessere Idee“
„Und die währe.“
„Ein Wettbewerb, jede Aktion gegen ihn bringt einen Punkt, wer die Aktion startet die ihn endgültig fliehen lässt bekommt noch mal fünf Punkte.“
„Ok, Einsatz ein Kasten Bier?“
„Ja.“
„Abgemacht!“
Am nächsten Morgen läutet ein lauter Knall aus dem Flur den Wettkampf ein. Schnell wird mir klar, dass Jack den Trick mit den explodierenden Latschen wieder verwertet hat. Es sei ihm gegönnt, obwohl es früher nie sein Stil war Dinge zu wiederholen.
Während Jack Stefan erklärt das es in seinen Schuhen wohl zu einer Gasexplosion gekommen ist warte ich auf meinen ersten Auftritt.
Stefan kommt auch promt noch immer leicht geschockt ins Wohnzimmer. Ich liege auf dem Sofa und schaue fern.
„Stefan kannst du mir bitte mal eben mein Handy rüber geben?“
„Ähm... Klar doch“
„Es ist da hinten am Ladekabel.“
Er greift nach meinem nagelneuem gebrauchtem Handy, was den Fernseher flackern lässt und schließlich ausstellt. Nach dem Stromschlag liegt Stefan auf dem Boden. Ich löse seine Hand vom Handy, und damit auch von den Drähten die ihm die 220Volt verpasst haben. Danach drehe ich die Sicherung wieder rein.
Eins zu eins.
Jack kommt zu mir ins Wohnzimmer.
„Willst du ihm nicht helfen?“
„Ne, dem geht’s gut, warum wieder die explodierenden Schuhe?“
„Den Sprengstoff gab es im Angebot“
„Ach so.“ Stefan wacht auf und erhebt sich.
„Stefan, wo bleibt mein Telefon?“
Wieder muss ich aufstehen und die Sicherung rein drücken.
„Zwei zu eins“
„Du benutzt ja auch das selbe.“
„Ja aber ich setze darauf, dass er so blöd ist und nicht aus seinen Fehlern lernt.“
„Oder auf eine kurzzeitige Amnesie durch den Stromschlag.“
„Ja“
Stefan ist wieder so weit.
„Geht es dir gut?“ frage ich ihn.
„Ja allellelless in O-O-Ordnung.“
„Gut dann gib mir bitte mein Handy.“
Drei zu eins, und Jack geht die Sicherung wechseln. Ich lasse Stefan vom Haken indem ich die Drähte abschneide, so dass sie ihm nicht mehr schaden. Er erwacht wieder und zieht sich mühsam hoch.
Diesmal bringt er mir unaufgefordert mein Handy.
„Danke jetzt brauche ich es nicht mehr.“, wimmle ich ihn ab. Er schleppt sich mühsam in die Küche. Einen Augenblick später verkündet ein lautes Scheppern das drei zu zwei. Ich schaue Jack fragend an.
„Ihm wird wohl beim versuch ein Glas zu bekommen der Stapel Kochtöpfe auf den Kopf gefallen sein, der seit gestern Abend auf dem Schrank steht.“
Stefan schleppt sich zu uns.
„Wo finde ich K-K-Kopfschmerztabletten?“
„In der Abstellkammer“ antwortet Jack wahrheitsgemäß.
„Da ist ein Schränkchen mit Medikamenten“ bestätige ich.
Die fallenden Koffer sind mein Punkt, der sinneserweiternde Asperinersatz Jacks. Während Stefan begeistert blaue Hasen durch die Küche jagt steht es vier zu drei für mich.
So gegen 11Uhr benimmt sich Stefan wieder normal. Er sieht zwar ab und zu grell gelbe Spinnen, aber das ist sein Problem. Auf jeden Fall schickt Jack ihn Kaffee kochen, und wir folgen Stefan in die Küche. Da ich die Kaffeemaschine nicht präpariert habe wird es wohl Jack getan haben. Also betrachte ich aus sicherer Entfernung das Schauspiel.
Stefan füllt die Maschine mit Wasser, und schüttet Kaffeepulver in den Filter. Das Anschalten bestraft die Maschine mit einer braunen Wolke aus Kaffee. Während sich der Staub legt notiere ich den vierten Punkt für Jack.
Stefan füllt derweil den Filter erneut mit Kaffee. Als er die Maschine diesmal anschaltet, rächt diese sich mit einem heißen Wasserstrahl.
„Schick, die verschiedenen Eigenschaften des Schalters.“ ich notiere Jacks fünften Punkt.
Während Stefan sich beim Versuch seine durch die Kaffeemaschine verursachten Verbrennungen zu Kühlen erneut verbrennt notiere ich den nächsten Punkt für Jack, der wohl das Kalte mit dem warmen Wasser vertauscht, und den Boiler auf „kochen“ gestellt hat.
Jack gibt dem schreiendem Stefan den Tip er soll es doch mit der Kühlsalbe versuchen, die er zufällig dabei hat. Die Salbe kühlt tatsächlich, und hilft auch gegen die Verbrennungen. Nur das Juckpulver darin bringt Jack seinen Punkt Nummer 7.
Nach einer kleinen Weile hat sich Stefan wieder halbwegs im Griff, und füllt die Maschine erneut mit Wasser. Der nächste Druck auf den Schalter, Stefan hat vorsichtshalber Deckung genommen um nicht wieder von einem Schwall Wasser getroffen zu werden, verabreicht ihm einen elektrischen Schlag. Ich gehe und Stelle die Sicherung wieder her. Außerdem steht es nun 8 zu 4 für Jack.
Als ich mit einem Wischlappen und einem Eimer für die Sauerei wieder in die Küche komme, hat Stefan sich schon wieder erholt. Zäh ist er, dass muss man ihm lassen.
„Dann kannst du ja die Sauerei die du hier angerichtet hast gleich sauber machen.“ Meine ich in einem Tonfall den ein Verschlafender Bundeswehr Offizier mit Geltungssucht beim Morgenapell nicht besser hätte treffen können.
Jack und ich verlassen die Küche, hinter uns flucht Stefan der wohl gerade den Sekundenkleber am Lappen bemerkt hat. 8 zu 5.
Auf bitten meiner Mutter bleibt das Mittagessen Unfallfrei. Nur beim kochen erscheint es Stefan zwischendurch, als würde meine Mutter ein Katzenbaby heuten und braten. Das schließe ich jedenfalls aus seinen Schreien als er die Küche verlässt. Leider geht der Punkt an Jack, auch wenn es mein Kätzchen war. Langsam wird es Zeit für den Abschluß.
Der Schlüssel ist, wenn ich den Spinner los werden will, Avelin.
„Sag mal ihr habt doch heute vier Monatiges Jubiläum?“
„Echt?“ Natürlich hab ich keine Ahnung.
„Soweit ich weiß ja.“
„Hm, naja das wird ihm egal sein, was sind schon vier Monate.“
„Echt, für einen Philosophen ist das die Magische Zahl. Aristoteles hat alle seine Beziehungen nach exakt 4 Monaten beendet, ebenso Schopenhauer.“
„Oh, du meinst, dass es bei ihm genau so ist?“
„Klar, hast du nicht bemerkt wie Abwesend er schon den ganzen Tag ist?“
Natürlich hat sie das, ist ja auch nicht schwer.
„Und was mach ich da?“
„Du musst ihm was schenken.“
„Und was?“
„Zum Beispiel ein Kätzchen.“
„Klar er mag Tiere, aber wo bekomme ich eins.“
„Ich hab gehört, dass bei Klausens welche verkauft werden.“
„Oh danke!!“
„Und vergiss die Karte nicht.“
„Karte?“
„Ja klar da muss schon eine Grußkarte dazu.“
„Stimmt am besten hänge ich sie dem Kätzchen um den Hals.“
Kaum eine Stunde später, bekomme ich das Kätzchen in die Finger und sprühe das Tier und die Karte mit Farbe ein die unter Schwarzlicht rot wird.
Als ich Stefan sehe sage ich ihm, dass Avelin ihm eine Überraschung in seinem Auto vorbereitet hat. Ich folge ihm nach draußen, Jack kommt aus begründeter Neugierde mit.
„Wo ist es denn?“fragt Stefan mich neugierig.
„Das hat sie nicht gesagt. Setze dich doch einfach mal rein.“
„Gute Idee.“
Er setzt sich ins Auto, ich gebe Jack ein Paar Ohrenschützer. Nachdem ich meine Aufgesetzt habe und Jack kontrolliert hat ob seine auch in Ordnung sind, tut er es mir gleich.
Stefan hat währenddessen ein Stück rotes Geschenkband gefunden, dass aus seinem Handschuhfach hängt. Natürlich öffnet er sofort das Fach.
Ein leises „KLICK“ eröffnet eine Folge aus 45 lauten „RUMS“. In seinem verrotteten Opel explodiert vom Kofferraum beginnend die Innenverkleidung. Jede Explosion hinterlässt eine kleine Beule im Blech. Plastiksplitter füllen den Innenraum. Stefan hechtet aus seinem Auto. Hektisch atmend liegt er auf dem Boden. In dem Moment kommt Avelin um die Ecke gerannt, sie wird den Krach wohl gehört haben. Sie hält das Kätzchen am Genick in der Hand. Um den Hals hängt eine mit Blumen verzierte Karte. Ich leuchte ihr mit einer Schwarzlichtlampe ins Gesicht.
Jack, Stefan und ich betrachten mein Werk. Das Kätzchen leuchtet im perfekten Blutrot, und sieht wie Abgestochen aus. Auch Avelin hat die Farbe in Flecken auf ihrem gesamten Körper (interessanter Weise besonders viel davon in ihrem Schritt). Am besten gefällt mir der große Schriftzug „Stirb zu Arsch“ auf der Karte.
Stefan scheint das nicht so zu gefallen. Ihm stockt der Atem und er starrt mit aufgerissenen Augen Avelin an. Langsam beginnen seine Stimmbänder auf das was seine Augen sehen zu reagieren. Er schreit, springt auf und rennt weg.
Avelin schaut uns verdutzt an.
„Ich weiß das ihr daran Schuld seid“ brüllt sie uns an.
„Japp.“ meine ich.
„Japp.“ bestätigt Jack.
Avelin zieht grummelnd ab.
„Nette Farbe.“
„Danke eigenes Rezept“ entgegne ich.
„Und das Auto?“
„Ich hab eine Aufnahme in Zeitlupe davon.“
Jack nickt anerkennend.
„Und es war der Rest von deinem Sprengstoff.“ Sage ich beiläufig während ich ins Haus gehe.
„Arschloch“ zischt mein Bruder.
Ich weiche an der Eingangstür der gespannten Bärenfalle aus, und lasse Jack mit seiner Wut und seiner Niederlage allein.
Am Abend sitzen wir mit ein paar Freunden und drei Kästen Bier vor dem Fernsehen.
„Beeindruckende Explosionskette.“ Lobt mich einer meiner ältesten Kumpels.
„Danke.“ Ich öffne das nächste Bier aus meinem Kasten, und genieße meinen Sieg.
„Und was gibt’s neues?“, frage ich um eine gepflegte Konversation einzuleiten.
„Ach, Jack ist gerade da...“
WAS?!?! Mist! Er hat es geschafft. Das ist nicht gut, gar nicht gut. Jack ist mein zwei Jahre älterer Bruder, aber das ist nicht schlimm. Auch nicht schlimm ist, dass zwischen uns, seit wir laufen können ein Wettbewerb läuft, in dem es darum geht dafür zu sorgen, dass dem anderen irgendetwas seltsames zustößt. So bleibt wenn wir beide zusammen sind ganz bestimmt einer mit dem Fuß im Kanalschacht hängen. Oder es bekommt jemand einen Stromschlag, oder ertrinkt beinahe in der Dusche, die sich zufällig bis zur Oberkante der Duschkabine mit Wasser füllt wobei die Tür sich nicht öffnen lässt. Oder der Rasenmäher explodiert. Solche Zufälle halt.
Und genau da ist das Problem. Er weiß das ich komme, ich nicht. Er ist vorbereitet, ich nicht.
Mein Vater erzählt weiter, ich höre ihm nicht mehr zu sondern überlege fieberhaft was ich noch auf die Schnelle improvisieren könnte um nicht ganz ins Hintertreffen zu geraten.
„Ich muss noch ein paar Dinge einkaufen, die ich unbedingt brauche damit ich auch zu Hause weiter arbeiten kann.“ Meine ich zu meinem Fahrer und garantiere damit, dass er keine Fragen stellen wird und den Kram auch bezahlt.
Also fülle ich an der Tankstelle eine Bierflasche mit Benzin (die Leute reagieren so toll, wenn man an der Kasse 0,5l Super bezahlt), besorge Abführmittel (kann man immer gebrauchen) und Kondome (Meine sind mir irgendwie ausgegangen) in der Apotheke, und dazu ein paar Batterien, Kabel, ein gebrauchtes Handy, Handschellen, und ein Katzenbaby.
Nun wenigstens etwas vorbereitet erreichen wir das altbekannte Elternhaus. Mein alter Herr fährt das Auto in die Garage, und ich trage meine Taschen zur Eingangstür. Während ich klingel wundere ich mich über den weißen Opel Kombi auf dem Hof. Jack wird sich doch wohl nicht so eine Schüssel zugelegt haben. Da öffnet sich auch schon die Tür und vor mir steht ein mir unbekannter dicklicher Mann mittleren Alters in einer grauen Kordhose und gelben Flanellhemd.
Ich schaue ihm ins Gesicht, beschließe dass ich hier falsch sein muss und schlag die Tür wieder zu. Einen Augenblick später kommt mein Vater um die Ecke, ich halte ihn auf.
„Wir sind hier falsch!“
„Hä?“
„Da ist ein seltsames Individuum, welches mir die Tür geöffnet hat.“ bringe ich ihn ins Bilde.
„Das ist Stefan, Avelins neuer Freund. Hab ich dir doch schon im Auto erzählt, dass er da ist.“
Ich hätte doch länger zu hören sollen. Avelin ist übrigens meine Schwester, sie heißt eigentlich Birgit lässt sich aber von allen Avelin nennen. Ich habe ihr vor vier Monaten zusammen mit meinem Bruder einen Keuschheitsgürtel zum 18ten Geburtstag geschenkt. Wir waren uns beide einig, dass sie ihn gebrauchen kann. Seit sie ihn einmal angezogen hat und feststellte, dass der Schlüssel nicht passt spricht sie kein Wort mehr mit mir. Nun ja, mit Hilfe eines fähigen Schlossers wird sie ihn inzwischen sicherlich aufbekommen haben.
Ich öffne also mutig die Tür, um dieses mal meinen Bruder anzutreffen. Besser. Wir begrüßen uns mit einer obligatorischen Bruderumarmung, um uns hinterher in ein stilles Eckchen zu verkriechen um den Zettel, welchen der jeweils andere am Rücken befestigt hat, zu entfernen. Ich finde einen mit einem Java Quellcode der, wenn kompiliert, endlos Emails an das gesamte Adressbuch schickt, mit der Aufforderung mich beim Umzug nach Bosnien zu unterstützen. Er lacht über einen C++ Quellcode, der erstmal die aktuellen Preise für eine Penisverlängerung aus dem Internet abruft, danach alle Windows Fehlermeldungen auf „Sie sind nicht ausreichend bestückt um dieses Programm auszuführen“ umschreibt und schließlich in einer Endlosschleife den Cash füllt und so den PC zum Absturz bringt.
Wie in den guten alten Zeiten.
Selbstverständlich begrüße ich auch den Rest der Anwesenden. Natürlich nicht ohne das übliche schön-dich-kennen-zu-lernen-Geschwafel von Stefan im Keim mit einem gezielten Tritt in seine Familienjuwelen zu unterbinden.
„Oh, das tut mir leid nach dem langem Sitzen im Zug machen die Gelenke noch nicht was sie sollen, diese Züge sind einfach viel zu eng.“ Entschuldige ich mich.
„Schon OK“ erwidert er mit einer auffallend hohen Stimme.
Der Rest des Vormittags verläuft ruhig, bis auf eine Explosion im Flur die meine Hausschuhe zerlegt hat, kurz bevor ich sie anziehen wollte, und eine spontane Entzündung des Briefkastens als mein Bruder die Post holen wollte (was lustiger weise auch sein T-Shirt in Mitleidenschaft gezogen hat).
Zum Mittag sitzt dann die gesamte Familie, mit dem einzelnem Anhang Stefan, um den Esstisch.
Peinlich genau achte ich darauf Teller und Bestecke zu benutzen bei denen Jack nicht rechnet, dass ich sie nehme. Außerdem fülle ich mir alles was ich esse selbst auf. Jack macht es ebenso. Meine Eltern sind diese Show gewohnt. Vielleicht wegen unsere gegenseitigen Vorsicht, aber auf jeden Fall bleibt das Essen aus dieser Sicht her ruhig. Die Ruhe zerreißt das zu erwartende Gespräch mit Stefan, welcher natürlich diverse Dinge über die Brüder seiner Angebeteten wissen muss. Man hätte denken können, dass sie ihn gewarnt hat keine dummen Fragen zu stellen.
„Und was studierst du?“
„Physik“ Antworte ich mit vollem Mund.
„Ach Physik... Das hab ich in der Schule immer gehasst“
Wie ich diese Antwort verabscheue. Ich binde doch einem McD-Sklaven auch nicht auf die Nase, dass ich Hackkuh in labbrigen Brötchen als Kind nicht mochte. Die angespannte Stille am Tisch beweist mir, dass alle anderen um meine Verachtung gegenüber dieses Satzes wissen.
„Ja so geht es vielen“ halte ich mich zurück.
„Aber wo du doch vom Fach bist, wusstest du das die Indianer schon die Quantenmechanik kannten?“ Oh nein, so einer ist das, jetzt kann ich mir den Rest des Tages von ihm Schwachsinn über Dinge anhören von denen er keine Ahnung hat.
„Klar, aber wusstest du, dass Gespräche über dieses Thema im gefährlichen Maße Gehirnzellen vernichten?“
„Wie?“
„Du weißt doch sicher, dass Gehirnzellen bei bestimmten Aufgaben dauerhaft vernichtet werden. So verliert man beim Sprechen über Geschlechtsverkehr 3 Zellen pro Minute, bei Fachgesprächen über Autos fünf, und beim Diskussionen zwischen Physikern und Ungebildeten über die Quantenmechanik sollen schon einige ihren Kopf verloren haben“ Ich funkle ihn gereizt an. Avelin versteht was ich damit sagen wollte und versucht das Gespräch auf Hündchen zu lenken. Aber er bleibt hartnäckig.
„Also das mit dem Verlust von Gehirnzellen hab ich auch schon gehört,..“ So ein Klugscheißer. „Aber, dass es bei dem Thema so extrem ist wusste ich gar nicht.“
„Doch, doch. Besonders wenn Motorsägen im Raum sind.“
„Oh..“
„Und es kommt sogar noch schlimmer. Bei Gesprächen über Computer werden es sogar noch mehr.“
„Ich wusste schon immer, dass diese Dinger nichts gutes Bringen. Zum Glück habe ich keinen, und was haben die Teile uns auch je gutes gebracht? Frage ich dich.“
Ich kaue besser weiter. Jack wird auch auffallend still.
„Eben, nichts“, fährt er fort „die gesamte Technik ist ein Schritt in die falsche Richtung. In meiner Diskussionsgruppe zum Thema „Technik und Fortschritt“ ist es gängige Meinung, dass gerade die Technik in den Städten völlig überzogen ist, und man ohne Elektrizität in Großstädten besser leben könnte“
Der Typ meint das ernst.
„Ja und dann erst die moderne Fahrzeugtechnik“ Mal schauen zu welchen Aussagen ich ihn noch treiben kann.
„Der Ottomotor ist ein Schritt in die völlig falsche Richtung gewesen, die Umweltverschmutzung kommt doch nur von unseren Fahrzeugen.“ Jack verschluckt sich, alle anderen schauen vorsichtshalber an die Decke.
„Was ja auch am modernen KAT liegt“ werfe ich ein. Jack kann vor lachen kaum noch essen.
„Ja, ganz meine Rede, deswegen hat mein Opel ja auch keinen. Diese Dinge haben den Treibhauseffekt potenziert. Und schuld daran ist nur die Gentechnik.“ Die Erklärung überrascht sogar mich, im Moment frage ich mich ob er mich veralbern will. Seine weiteren Ausführungen überzeugen mich davon, dass er es tatsächlich ernst meint.
Ich melde mich freiwillig das Kompott zu holen. Jack kommt natürlich mit. In der Küche mische ich, so das Jack es nicht sieht, Abführmittel in eine der Schalen. Natürlich weiß ich, dass er es trotzdem gesehen hat. Genauso wie ich gesehen habe, dass er auf einen der Griffe der Löffel ein wirklich hervorragendes Juckpulver gestreut hat. Das Zeug ist in der gesamten EU verboten. Wer den Löffel bekommt wird sich den Rest des Tages kratzen.
Um so erstaunter ist er, dass ich die präparierte Schale nicht vor ihn sondern vor Stefan stelle. Er schaut mich kurz verdutzt an. Ich nicke ihm zu und er legt den Löffel ebenso zu ihm.
Zur allgemeinen Mittagsruhe beschließe auch ich es mir vor dem Fernseher gemütlich zu machen. Natürlich läuft zu dieser Tageszeit nur Schund, aber schließlich finde ich auf Eurosport Fußball. So freue ich mich, bei schonender Belastung, Entspannung zu finden. Stefan setzt sich zu mir. Ich ignoriere ihn in der begründeten Hoffnung, dass er bald aufs Klo muss.
„Willst du das sehen?“
„Ja“
„Schade“
Da ich weiß, dass mir die Antwort nicht gefallen würde frage ich ihn nicht.
„Ich würde nämlich gerne was anderes sehen.“
Ich nehme ihn mental entgültig in meine Ignorelist auf.
„Da kommt nämlich auf RTL so eine Gerichtssendung, und die würde ich gerne sehen.“
Er erwartet doch nicht etwa, dass er darauf tatsächlich eine Reaktion bekommt. Diese Gerichtsshows sind der stumpfste Blödsinn der momentan im Fernsehen läuft. Als ob ich mir schlechte amateurhafte Schauspieler ansehen will, die sich die Augen ausheulen weil sie dafür verklagt werden, dass sie die Scheune von dem puffbesitzendem Bauern abgefackelt haben, wobei eine preisgekrönte Kuh zu Barbecue verarbeitet wurde, und das alles nur weil er 1985 beim Kekswichsen in der DDR verloren hat. Bevor ich das mache bringe ich mich lieber um. Oder noch besser ihn.
„Weist du ich schau die so gerne, weil ich doch früher selbst zwei Semester Jura studiert habe, und das ist so praxisnah.“
Ich überlege ob ich ihm die Fernbedienung quer in den Hals rammen sollte. Als ob die Dinge irgendetwas mit der Realität zu tun hätten. Immerhin kann ich jetzt etwas über ihn heraus finden.
„Und dann hast du aufgehört?“ Er beginnt sich leidenschaftlich zu kratzen.
„Ja ich fand es nicht so fordernd wie mein Medizinstudium zuvor, und Theologie hat mich schon immer fasziniert.“
„Also machst du Theo?“
Nachdem er begriffen hat was ich mit Theo meine, meint er.:
„Nein, nein ich bin über Lehramt Englisch zur Philosophie gekommen, und das ist ganz toll.“
Also das Juckpulver wirkt definitiv, jetzt erwarte ich nur noch das Abführmittel.
„Und wie lange bist du schon in der Philosophie?“
„Schon drei Semester, und ich mach es auf jeden Fall weiter.“
Er verkneift das Gesicht, was ich als ein Zeichen dafür deute, dass ich bald meine Ruhe haben werde.
„Na dann kannst du ja endlich mit dem Taxi fahren anfangen.. Meinst du nicht, dass du aufs Klo solltest?“
Ein lautes Gurgeln aus seinem unteren Bereich bestätigt meine Vermutung. Und kaum einen Augenblick später bin ich ihn los.
Doch die Tür fällt nicht einmal zu bevor Jack herein kommt.
„Ein wunder, dass du es so lange mit dem Kerl in einem Raum aushältst.“
„Ja, das Wissen, dass er bald aufs Klo muss hat mich am Leben gehalten. Ich hoffe du hast..“
„Das Klopapier mit Juckpulver eingestreut? Ja hab ich.“
„Gut das wird sich perfekt mit dem Chilipulver mischen.“
Jack setzt sich zu mir und meint:
„Du bist noch immer ein genauso großer Bastard wie früher.“
„Japp, du auch. Aber um mir das zu sagen bist du nicht hier her gekommen.“
„Nein, es geht um Stefan.“
„Er ist ein Depp, aber es ist nichts neues, dass Avelin mit solchen Typen ankommt.“
„Er versteht einfach nicht, dass er hier unerwünscht ist.“
„Wie hast du denn versucht es ihm mitzuteilen?“
„Ach, dass übliche, LSD in seiner Wasserflasche, vier gleichzeitig platzende Reifen an seinem gammeligen Opel, Farbe im Haarwaschmittel..“
„Las mich raten, es hat eine Woche gebraucht bis er sich das erste mal mit der Farbe die Haare gewaschen hat?“
„Acht Tage. Ich hab ihm sogar im Traum eine Nachricht seiner Eltern zukommen lassen, dass sie sterben werden und so.“
„Der Trick mit dem Hanf, den Schauspielern, der alten Zahnbürste und der Lasershow?“
„Ja genau der.“
„Hm, der Typ ist zäh das muss man ihm lassen. Und genau lassen könnten wir das ganze auch, schließlich sind wir ja nicht daran Schuld, dass er ein Depp ist und hier rumhängt.“
„Ähm, doch sind wir.“
„Wie bitte?“
„Er ist der Sohn von dem Schlosser der Avelins Geburtstagsgeschenk wieder geöffnet hat.“
„OK, wenn das so ist arbeiten wir zusammen.“
„Waffenstillstand?“
„Bis der gemeinsame Feind bezwungen ist? Nein, ich hab da eine bessere Idee“
„Und die währe.“
„Ein Wettbewerb, jede Aktion gegen ihn bringt einen Punkt, wer die Aktion startet die ihn endgültig fliehen lässt bekommt noch mal fünf Punkte.“
„Ok, Einsatz ein Kasten Bier?“
„Ja.“
„Abgemacht!“
Am nächsten Morgen läutet ein lauter Knall aus dem Flur den Wettkampf ein. Schnell wird mir klar, dass Jack den Trick mit den explodierenden Latschen wieder verwertet hat. Es sei ihm gegönnt, obwohl es früher nie sein Stil war Dinge zu wiederholen.
Während Jack Stefan erklärt das es in seinen Schuhen wohl zu einer Gasexplosion gekommen ist warte ich auf meinen ersten Auftritt.
Stefan kommt auch promt noch immer leicht geschockt ins Wohnzimmer. Ich liege auf dem Sofa und schaue fern.
„Stefan kannst du mir bitte mal eben mein Handy rüber geben?“
„Ähm... Klar doch“
„Es ist da hinten am Ladekabel.“
Er greift nach meinem nagelneuem gebrauchtem Handy, was den Fernseher flackern lässt und schließlich ausstellt. Nach dem Stromschlag liegt Stefan auf dem Boden. Ich löse seine Hand vom Handy, und damit auch von den Drähten die ihm die 220Volt verpasst haben. Danach drehe ich die Sicherung wieder rein.
Eins zu eins.
Jack kommt zu mir ins Wohnzimmer.
„Willst du ihm nicht helfen?“
„Ne, dem geht’s gut, warum wieder die explodierenden Schuhe?“
„Den Sprengstoff gab es im Angebot“
„Ach so.“ Stefan wacht auf und erhebt sich.
„Stefan, wo bleibt mein Telefon?“
Wieder muss ich aufstehen und die Sicherung rein drücken.
„Zwei zu eins“
„Du benutzt ja auch das selbe.“
„Ja aber ich setze darauf, dass er so blöd ist und nicht aus seinen Fehlern lernt.“
„Oder auf eine kurzzeitige Amnesie durch den Stromschlag.“
„Ja“
Stefan ist wieder so weit.
„Geht es dir gut?“ frage ich ihn.
„Ja allellelless in O-O-Ordnung.“
„Gut dann gib mir bitte mein Handy.“
Drei zu eins, und Jack geht die Sicherung wechseln. Ich lasse Stefan vom Haken indem ich die Drähte abschneide, so dass sie ihm nicht mehr schaden. Er erwacht wieder und zieht sich mühsam hoch.
Diesmal bringt er mir unaufgefordert mein Handy.
„Danke jetzt brauche ich es nicht mehr.“, wimmle ich ihn ab. Er schleppt sich mühsam in die Küche. Einen Augenblick später verkündet ein lautes Scheppern das drei zu zwei. Ich schaue Jack fragend an.
„Ihm wird wohl beim versuch ein Glas zu bekommen der Stapel Kochtöpfe auf den Kopf gefallen sein, der seit gestern Abend auf dem Schrank steht.“
Stefan schleppt sich zu uns.
„Wo finde ich K-K-Kopfschmerztabletten?“
„In der Abstellkammer“ antwortet Jack wahrheitsgemäß.
„Da ist ein Schränkchen mit Medikamenten“ bestätige ich.
Die fallenden Koffer sind mein Punkt, der sinneserweiternde Asperinersatz Jacks. Während Stefan begeistert blaue Hasen durch die Küche jagt steht es vier zu drei für mich.
So gegen 11Uhr benimmt sich Stefan wieder normal. Er sieht zwar ab und zu grell gelbe Spinnen, aber das ist sein Problem. Auf jeden Fall schickt Jack ihn Kaffee kochen, und wir folgen Stefan in die Küche. Da ich die Kaffeemaschine nicht präpariert habe wird es wohl Jack getan haben. Also betrachte ich aus sicherer Entfernung das Schauspiel.
Stefan füllt die Maschine mit Wasser, und schüttet Kaffeepulver in den Filter. Das Anschalten bestraft die Maschine mit einer braunen Wolke aus Kaffee. Während sich der Staub legt notiere ich den vierten Punkt für Jack.
Stefan füllt derweil den Filter erneut mit Kaffee. Als er die Maschine diesmal anschaltet, rächt diese sich mit einem heißen Wasserstrahl.
„Schick, die verschiedenen Eigenschaften des Schalters.“ ich notiere Jacks fünften Punkt.
Während Stefan sich beim Versuch seine durch die Kaffeemaschine verursachten Verbrennungen zu Kühlen erneut verbrennt notiere ich den nächsten Punkt für Jack, der wohl das Kalte mit dem warmen Wasser vertauscht, und den Boiler auf „kochen“ gestellt hat.
Jack gibt dem schreiendem Stefan den Tip er soll es doch mit der Kühlsalbe versuchen, die er zufällig dabei hat. Die Salbe kühlt tatsächlich, und hilft auch gegen die Verbrennungen. Nur das Juckpulver darin bringt Jack seinen Punkt Nummer 7.
Nach einer kleinen Weile hat sich Stefan wieder halbwegs im Griff, und füllt die Maschine erneut mit Wasser. Der nächste Druck auf den Schalter, Stefan hat vorsichtshalber Deckung genommen um nicht wieder von einem Schwall Wasser getroffen zu werden, verabreicht ihm einen elektrischen Schlag. Ich gehe und Stelle die Sicherung wieder her. Außerdem steht es nun 8 zu 4 für Jack.
Als ich mit einem Wischlappen und einem Eimer für die Sauerei wieder in die Küche komme, hat Stefan sich schon wieder erholt. Zäh ist er, dass muss man ihm lassen.
„Dann kannst du ja die Sauerei die du hier angerichtet hast gleich sauber machen.“ Meine ich in einem Tonfall den ein Verschlafender Bundeswehr Offizier mit Geltungssucht beim Morgenapell nicht besser hätte treffen können.
Jack und ich verlassen die Küche, hinter uns flucht Stefan der wohl gerade den Sekundenkleber am Lappen bemerkt hat. 8 zu 5.
Auf bitten meiner Mutter bleibt das Mittagessen Unfallfrei. Nur beim kochen erscheint es Stefan zwischendurch, als würde meine Mutter ein Katzenbaby heuten und braten. Das schließe ich jedenfalls aus seinen Schreien als er die Küche verlässt. Leider geht der Punkt an Jack, auch wenn es mein Kätzchen war. Langsam wird es Zeit für den Abschluß.
Der Schlüssel ist, wenn ich den Spinner los werden will, Avelin.
„Sag mal ihr habt doch heute vier Monatiges Jubiläum?“
„Echt?“ Natürlich hab ich keine Ahnung.
„Soweit ich weiß ja.“
„Hm, naja das wird ihm egal sein, was sind schon vier Monate.“
„Echt, für einen Philosophen ist das die Magische Zahl. Aristoteles hat alle seine Beziehungen nach exakt 4 Monaten beendet, ebenso Schopenhauer.“
„Oh, du meinst, dass es bei ihm genau so ist?“
„Klar, hast du nicht bemerkt wie Abwesend er schon den ganzen Tag ist?“
Natürlich hat sie das, ist ja auch nicht schwer.
„Und was mach ich da?“
„Du musst ihm was schenken.“
„Und was?“
„Zum Beispiel ein Kätzchen.“
„Klar er mag Tiere, aber wo bekomme ich eins.“
„Ich hab gehört, dass bei Klausens welche verkauft werden.“
„Oh danke!!“
„Und vergiss die Karte nicht.“
„Karte?“
„Ja klar da muss schon eine Grußkarte dazu.“
„Stimmt am besten hänge ich sie dem Kätzchen um den Hals.“
Kaum eine Stunde später, bekomme ich das Kätzchen in die Finger und sprühe das Tier und die Karte mit Farbe ein die unter Schwarzlicht rot wird.
Als ich Stefan sehe sage ich ihm, dass Avelin ihm eine Überraschung in seinem Auto vorbereitet hat. Ich folge ihm nach draußen, Jack kommt aus begründeter Neugierde mit.
„Wo ist es denn?“fragt Stefan mich neugierig.
„Das hat sie nicht gesagt. Setze dich doch einfach mal rein.“
„Gute Idee.“
Er setzt sich ins Auto, ich gebe Jack ein Paar Ohrenschützer. Nachdem ich meine Aufgesetzt habe und Jack kontrolliert hat ob seine auch in Ordnung sind, tut er es mir gleich.
Stefan hat währenddessen ein Stück rotes Geschenkband gefunden, dass aus seinem Handschuhfach hängt. Natürlich öffnet er sofort das Fach.
Ein leises „KLICK“ eröffnet eine Folge aus 45 lauten „RUMS“. In seinem verrotteten Opel explodiert vom Kofferraum beginnend die Innenverkleidung. Jede Explosion hinterlässt eine kleine Beule im Blech. Plastiksplitter füllen den Innenraum. Stefan hechtet aus seinem Auto. Hektisch atmend liegt er auf dem Boden. In dem Moment kommt Avelin um die Ecke gerannt, sie wird den Krach wohl gehört haben. Sie hält das Kätzchen am Genick in der Hand. Um den Hals hängt eine mit Blumen verzierte Karte. Ich leuchte ihr mit einer Schwarzlichtlampe ins Gesicht.
Jack, Stefan und ich betrachten mein Werk. Das Kätzchen leuchtet im perfekten Blutrot, und sieht wie Abgestochen aus. Auch Avelin hat die Farbe in Flecken auf ihrem gesamten Körper (interessanter Weise besonders viel davon in ihrem Schritt). Am besten gefällt mir der große Schriftzug „Stirb zu Arsch“ auf der Karte.
Stefan scheint das nicht so zu gefallen. Ihm stockt der Atem und er starrt mit aufgerissenen Augen Avelin an. Langsam beginnen seine Stimmbänder auf das was seine Augen sehen zu reagieren. Er schreit, springt auf und rennt weg.
Avelin schaut uns verdutzt an.
„Ich weiß das ihr daran Schuld seid“ brüllt sie uns an.
„Japp.“ meine ich.
„Japp.“ bestätigt Jack.
Avelin zieht grummelnd ab.
„Nette Farbe.“
„Danke eigenes Rezept“ entgegne ich.
„Und das Auto?“
„Ich hab eine Aufnahme in Zeitlupe davon.“
Jack nickt anerkennend.
„Und es war der Rest von deinem Sprengstoff.“ Sage ich beiläufig während ich ins Haus gehe.
„Arschloch“ zischt mein Bruder.
Ich weiche an der Eingangstür der gespannten Bärenfalle aus, und lasse Jack mit seiner Wut und seiner Niederlage allein.
Am Abend sitzen wir mit ein paar Freunden und drei Kästen Bier vor dem Fernsehen.
„Beeindruckende Explosionskette.“ Lobt mich einer meiner ältesten Kumpels.
„Danke.“ Ich öffne das nächste Bier aus meinem Kasten, und genieße meinen Sieg.
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