Dienstag, 12. Februar 2008

Nachbarn

Wieder trägt jemand lehre Kartons durch den Flur. Gleich wird er seinen Kram darin verstauen und dann dieses Stockwerk und seine Bewohner für immer verlassen. Und wieder ist es mein Nachbar.
Und wie immer bei solchen Gelegenheiten stehe ich im Flur und schaue zu wie mein Ex-Nachbar seine Sachen in Kartons auf den Flur stellt.

„Sag mal Gerald, warum ziehst du eigentlich aus? Du warst doch grad erst 13 Tage da?“
„Ja... ähm.... mir gefällt's hier halt nicht.“
Er schaut sich angsterfüllt um. Sowieso waren aus seinem Zimmer quasi seit der ersten Nacht angsterfüllte Schreie zu hören. War richtig unheimlich.
Für ihn.
„Es liegt wohl an uns?“
„Nein, nein, es ist eher ER“ Und er deutet in sein Zimmer.
„Wer?“
„Na, ER eben. “ Gerald wirkt besorgt. Eine Taube landet auf dem Balkon, und er zuckt zusammen.
„Du siehst doch Gespenster“
„JA! Ich mein nein, ER schreibt dinge an die Wände, und ich hör IHN tuscheln.“
„Du spinnst doch“
„Doch, es glaubt mir nur keiner aber ER ist da!!“
„Zeig mal.“ ich betrete das Zimmer und verkünde stolz, dass hier nichts ist.
„Du musst es Dunkel machen, im Licht kommt ER nicht“, antwortet Gerald verängstigt von der Tür. Ich verdunkele die Fenster, alles bleibt still. Gerald betritt vorsichtig den Raum.
„Und wo schreibt ER nun was an die Wände?“
„Ge...genau hinter dir.“ Ich drehe mich um und sehe nichts.
Plötzlich rennt Gerald schreiend aus dem Raum. Wieder einer, der fluchtartig dieses Wohnheim verlässt, 15 allein aus dem Zimmer neben mir in den letzten 24 Monaten. Und wieder einer der offensichtlich Geisteskrank ist.

Ich erinnere mich noch genau an meinen ersten Nachbar hier. Er hieß Christian trug ausschließlich Flanellhemden und lebte knapp 3 Wochen neben mir. Es war damals eine seltsame Sache.
Ich saß in der Küche. Er kam herein und verwickelte mich in ein Gespräch über Computer. Damals war ich noch jung und unerfahren. So bemerkte ich erst als er mir sein Problem schilderte, dass er keine Ahnung hatte. So ging seine Uhr im PC falsch und zwar jedes mal, bei jedem Systemstart. Ich hab ihm damals nur so zum Spaß gesagt, dass es an den resonanten Interferenzen seines PC-Gehäuses mit der Zimmergröße liege. Es würden sich nämlich stehende Wellen aufbauen, die die Einstellungen der PC-Uhr stören. Er hat es mir geglaubt. Rein aus jugendlichem Leichtsinn hab ich damals gesagt, dass er seinen Rechner 4cm unter die Decke hängen könnte. Was das Problem kurzzeitig beheben würde. Nur um zu probieren wie weit ich gehen könnte, sagte ich ihm, dass sich das Ganze aber über Kurz oder Lang auf alle anderen Uhren im Raum ausbreiten wird.
Das letzte Argument habe ich mit dem Verstellen seiner Uhren in den darauffolgenden Wochen bestärkt. Er musste das Zimmer damals verlassen als er versuchte fünf Millimeter von all seinen Wänden ab zutragen um, wie er sagte, die bösen Interferenzen zu zerstören.

An den Zweiten kann ich mich kaum noch erinnern. Ich glaube er kam damals zu mir weil sein Radioempfang so schlecht war, und was er da machen könne. Ich glaube ich habe ihm damals, unter Beeinträchtigung eines starken Katers der aus einem enormen Absinthrausch resultierte, folgendes geraten. Er solle doch in den Stadtpark gehen und das den Bäumen erzählen anstatt mich hier zu belabern. Die würde nämlich mit ihren Ästen das Signal einfangen. Und er solle den doch sagen sie sollen sein Signal wieder raus rücken. Schließlich weiß doch jeder, dass Bäume fühlende Wesen sind und Volksmusik lieben. Ich hingegen konnte seinen Krach damals überhaupt nicht ertragen, was wohl auch der Grund war, warum ich seine Antenne befreit habe.
Er wurde damals in die Klapse gesteckt weil er im Stadtpark die Bäume angeschrien hat. Es gibt seltsame Leute.

Irgendwie entwickelte sich das Ganze dann zu einem Hobby. Jedenfalls ist es diesem Hobby zu verdanken, dass neben mir in ziemlich genau 24 Monaten, eben genau jene 15 Leute ein und auszogen.

Am unkreativsten war ich wohl bei Harald damals. Harald war einer der typischen BWL-studierenden Krawatten-und-rosa-Polohemd-Träger, der dazu auch noch immer so komisch roch. In etwa so wie ein vermodernder Biber. Was wohl an dem vermodernden Biber lag, den irgendwer hinter die Verkleidung seiner Heizung getan hat.

Spaß gemacht hat auch Uli. Uli studierte Germanistik im ersten Semester und war so auf dem besten Weg zum Arbeitslosen. Er hatte seltsamer Weise extreme Probleme mit Mücken. Er hatte permanent Unmengen an Mücken im Zimmer, 400 um genau zu sein. Er hat ganze drei Wochen lang die Viecher erschlagen und damit eine ansehnliche Tupfentapete produziert. Ich gab ihm damals den Tip er solle sich mit Schweineblut einreiben damit ihm die Tiere nicht mehr auf den Pelz rücken. Der Hausmeister hat ihn schließlich raus geworfen nachdem Uli mehrfach andere Mitbewohner verschreckt hat weil er schreiend und blutverschmiert durchs Haus lief.

Interessant war Reiner. Ein alternder Philosophie und Kunst Lehramtsstudent. Halbglatze, dicke Brille und grüne Wollsocken, seltsamer Typ. Bei ihm hab ich mit unterschwelligen Informationen in Liedern experimentiert. Ich hab ihm damals in jede einzelne seiner Mp3's Sachen wie „Blutwurst, den ganzen Tag Blutwurst“, sowie Ausschnitte aus Werbungen für Möbelhändler codiert. Er lebt inzwischen streng veganisch in einem Zelt mitten im Schwarzwald. Dazu hat ihm sein Therapeut geraten, nachdem er in einem Ikea mit einem Klappstuhl Amok lief und vier Verkäufern böse die Finger klemmte, und das nur weil es in der Kantine dort keine Blutwurst gab.
Bei Harald, einem Weiberheld ohne Erfolg bei Frauen, war ich mir nicht sicher was seinen Auszug mit anschließendem Anstaltaufenthalt auslöste. Er hielt sich, als er abgeholt wurde, für einen tibetanischen Sumpfgorilla mit Sonnenallergie. Und ich bin mir nicht sicher ob es am LSD in seinem Trinkwasser oder den Magic Mushrooms in der Zahnpasta lag. Wahrscheinlich an beidem.

So viele kamen, und genausoviele gingen auch wieder. Und so freue ich mich, dass nun auch Gerald geht um sein Leben in einer anderen Wohnung weiter zu führen.

Ich betrachte voller Stolz nochmal mein Kunstwerk, die Worte „Wir kommen!, wir kommen!! wir kriegen auch DICH!!“ in unter Schwarzlicht leuchtender Farbe haben ihm wohl den Rest gegeben. Ich schalte mit der Fernbedienung meine Schwarzlichtlampe sowie den kleinen Lautsprecher aus, und entferne beides aus ihren Verstecken.

Etwas später kommt Gerald zurück um seine Sachen zu holen. Er wirft den Rest in die Kartons. Als er sie anhebt fällt der Boden raus und alles verteilt sich auf dem Fußboden. „DU ENTKOMMST UNS NICHT!“ grollt eine dumpfe Stimme durch den Raum.
„NEIN!!, nein nein neeiiiinnnn“ Gerald flieht.

Normalerweise würde ich jetzt Geralds Sachen nach Wertvollem untersuchen. Wie gesagt, normalerweise, denn mein eigener Lautsprecher ist deaktiviert und abgebaut.

Und es gibt Dinge mit den ich es mir nicht verscherzen will.


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