Freitag, 18. April 2008

Es ist verwirrend aber war. (Teil 1/2)

Wo sind meine Schuhe!?! Wo sind meine Hausschuhe?!?
Ich bin gerade erst aufgestanden habe den Schlaf irgendwie aus meinen Augen gebracht und nun sind meine Hausschuhe nicht da. Ich kann bei den hygienischen Umständen unserer gemeinschaftlichen Toilette unmöglich ohne Schuhe dort hingehen. Ich würde nicht mal ohne Schuhe auf den Flur gehen. Irgendwie hat der Teppich aus der Küche seine Verwandten eingeladen und seit dem macht das Laufen auch auf dem Flur so seltsame Geräusche.
Da mein Zimmer nun wirklich nicht gerade extrem groß ist, können meine Schuhe eigentlich auch nicht weit sein. Ich suche sie und finde einen leeren vergammelten Joghurtbecher und einen Teelöffel unter dem Bett. Na toll. Ich suche meine Sandalen als vorläufigen Ersatz und durchlebe die typische morgendliche Prozedur. Beim Frühstück stelle ich fest, dass meine Milch abgelaufen und schlecht ist. Der Tag geht so weiter wie er angefangen hat.

Egal. Heute sind Vorlesungen und ich habe fest vor hin zu gehen. So sitze ich kurze Zeit später mit „Black Friday Rules“ von „Flogging Molly“ im Ohr im Bus, als vor meinen Augen Albert mit seinem Ausweis winkt. Albert ist mein Fahrkarten Kontrolleur. Ok, ich kenne ihn eigentlich nicht. Aber er kontrolliert öfter auf dieser Strecke und wenn ich nicht, wie heute, abwesend aus dem Fenster starre, begrüße ich ihn mit gezücktem Studententicket. So suche ich meinen Ausweis heraus und zeige ihn vor. Albert schaut kurz drauf, schaut dann genauer hin und spricht mich an. Ich verstehe kein Wort, was aber nicht an seinem Bayrisch, sondern an meiner Musik liegt.
Also ziehe ich die Kopfhörer aus den Ohren und begrüße ihn mit einem freundlichen „Hää?“
Wieder spricht er mich an, und erneut verstehe ich ihn nicht. Was allerdings nicht an meiner Musik sondern an seinem Bayrisch liegt. Also antworte ich ihm mit einem nicht mehr ganz so freundlichen „Hää?“
Im dritten Versuch schafft er es mir verständlich zu erklären, dass mein Studententicket abgelaufen ist. Abgelaufen? Frage ich mich und stelle fest, dass ich den Ausweis von vor zwei Jahren in der Tasche habe und der gilt dieses Semester natürlich nicht.
Ich hasse den heutigen Tag. Ich hasse ihn wirklich. Ich hasse ihn so sehr wie Kaffee mit Süßstoff und Sojamilch. Oder so sehr wie den Typen der gerade lacht. Leider kann ich im vollen Bus nicht erkennen wer es war. Ist wohl auch besser für ihn.
Schließlich kann ich Albert überzeugen, dass ich einen aktuellen Ausweis besitze. So zahle ich ein Strafgeld von 5€ unter der Voraussetzung, dass ich diese Woche den aktuellen Ausweis in der Geschäftsstelle des Verkehrsverbundes vorlege.

So komme ich ziemlich genervt in die Uni wo ich, ebenfalls ziemlich genervt, zwei Vorlesungen über mich ergehen lasse. Dann ab in die Mensa. Es gibt Curry Wurst mit Pommes. Eines der Gerichte die in meiner persönlichen Mensa überhaupt essbar sind. Vor der Kasse rempelt mich jemand an worauf sich meine Cola gleichmäßig über Tablett, Fußboden und Hose verteilt. Während der Täter unerkannt entkommt nehme ich fluchend ein neues Glas aus dem Regal.
Nachdem ich mir das Essen, möglichst ohne den Geschmack wahrzunehmen, unter den Hals geschoben habe, wird mir unerwartet schlecht. So richtig schlecht. Es ist zwar normal, dass man sich nicht ganz so gut fühlt nach dem Essen in der Mensa, aber normalerweise nicht nach Curry Wurst. Und normalerweise wird einem dabei auch nicht so schlecht, dass man sich das mit dem Essen noch mal durch den Kopf gehen lässt.
Ich hingegen opfere dem Porzellangott.

Danach fahre ich zurück ins Wohnheim. Für heute reicht es wirklich. Ich sammle die Werbung aus dem Briefkasten und werfe sie umgehend in den Müll. Der Fahrstuhl ist schon unten, ich muss ihn nicht einmal rufen. Das erste Positive am heutigen Tag.
Als ich die Tür öffne, fällt mein Blick zufällig durch das Fenster in der Fahrstuhltür auf eine kleine schwarze Düse in der oberen linken Ecke des Aufzugs. Ohne darüber nachzudenken öffne ich die Tür. Wohl nur meine 5 Reaktions Würfel und ein Punkt Edge retten mir die Haut. Oder für alle nicht Shadowrunner: Ich kann gerade so der Stichflamme, die mir aus dem Fahrstuhl entgegen schießt, ausweichen. Mit beherztem wälzen auf dem Teppich ersticke ich die Flammen in meinen Haaren und auf meiner Jacke.
Ich entleere einen Feuerlöscher auf die Brandflecken und schleppe mich die Treppe herauf in mein Zimmer.

Ich glaube nicht an Zufälle. Ich glaube nicht, dass sich ein Fahrstuhl versehentlich entzündet. Ich glaube nicht, dass ich meine Hausschuhe verlege, ich glaube auch nicht, dass ich aus versehen den Studentenausweis von vor zwei Jahren einpacke. Ok ich glaube daran, dass meine Milch im Kühlschrank verdirbt. Aber nicht alles am selben Tag.
Ich denke eher, dass diese Zufälle von irgendjemandem penibel vorbereitet wurden. Es ist nur noch die Frage von wem.
Ich überprüfe meinen Laptop auf bauliche Veränderungen, kann aber keine finden. Auffällig allein ist, dass meine Original Vampire the Masquerade Bloodlines CD merkwürdig blau auf der Unterseite ist. Ich beschließe die anscheinend ausgetauschte CD beiseite zu legen bis ich sicher ausprobieren kann was wirklich drauf ist. Anschließend starte ich meinen Laptop von einer Knoppix DVD. Wen interessiert schon ob jemand an seinen Dateien oder am Betriebssystem rumgefuscht hat, wenn man ein Betriebssystem in der Hinterhand hat, was alleine mit dem RAM und der DVD auskommt. So finde ich auch zufällig drei Dateien in meinem Windows die das System zerblasen wenn man es startet. Also drei mehr als bei Windows normal. Dann schaue ich nach, was meine Küchenkamera in der letzten Nacht so aufgenommen hat. Vielleicht hat man ja Glück. Ich sehe in meinen Aufnahmen einen wirklich erheiternden Porno, wenn auch der Geschmack der Darsteller etwas seltsam ist. Was finden 80 jährige Männer nur an anderen 80 jährigen Männern.

Ich lösche die Dateien und habe etwas wichtiges gelernt. Erstens wer auch immer es war, er war in der Küche. Zweitens, er hat meine Kamera entdeckt. Und drittens Opagayporn kann einem echt den Tag versauen. Noch mehr als er es sowieso schon ist.

Es klopft. Ich ziehe die alte Druckrolle meines Laserdruckers aus einem Berg Müll und stelle mich bereit zum zuschlagen neben die Tür. Dann rufe ich herein. Eine männliches menschliches Wesen betritt mein Zimmer ich schlage vorsichtshalber zu. Das Bubberle sinkt vor mir bewusstlos zu Boden. Seit dem ich ihm gegen Geld den Magneten vom Monitor genommen habe, hab ich von ihm nicht mehr viel gesehen. Ich durchsuche ihn, finde aber nichts interessantes. In seinem Handy finde ich nur den ADAC und seine Eltern. Vorsichtshalber notiere ich seine Telefonnummer und verändere die seiner Eltern.

Ich schütte ihm einen Becher Wasser ins Gesicht, und er kommt wieder zu sich,
„Uhhh.“ und reibt sich den Schädel.
„Alles in Ordnung?“ frage ich fast mütterlich, „Du bist einfach so weggetreten.“
„Uh ja geht schon.“ Er ist halt doch ein Held. Ich helfe ihm hoch.
„Was wolltest du eigentlich hier?“
„Öhm ja.“
„Naja wenn es dir wieder einfällt, kannst du ja noch mal vorbei kommen.“ versuche ich ihn abzuwimmeln mit der Hoffnung, dass ich bis er wieder kommt den Türdrücker unter Strom gesetzt habe.
„Ne, ich weiß schon, ich wollt dich fragen...“ Ich hasse es wenn Gespräche in die Richtung gehen.
„..ob du mir einen Gefallen tun kannst.“ Und dieses Gespräch geht in die völlig falsche Richtung.
Aber an Tagen wie heute kann man nichts anderes erwarten. Da ich nicht schnell genug „Nein“ sagen kann fährt er fort.
„Könntest du mir ein Spiel leihen?“
Ich schaue ihn überrascht an. Da ich nichts sage muss er notgedrungen weiter reden.
„Ja weißt du, mir ist langweilig, und da dachte ich, dass du eventuell.. Ich meine du hast doch..“
„Nein hab ich nicht!“ fahre ich ihm dazwischen. Wo kommen wir denn da hin, wenn jeder hier meine Spiele leihen kann. Die sollen das gefälligst wie jeder normale Mensch machen, und die selbst runter laden. Ich schiebe ihn aus der Tür, doch bevor ich sie zu schlage fällt mir ein, dass ich ja sowieso wissen wollte was auf der falschen Vampire CD drauf ist.

„oder vielleicht doch.“ hole ich ihn wieder rein. Ich drücke ihm das Spiel in die Hand.
„Ist das gut?“
„Natürlich.“
„Und macht das Spaß?“ Ich hasse ihn, was für eine dämliche Frage.
„Nein, das ist tot langweilig.“
„Oh, ne dann will ich es nicht.“ Er dreht sich um und geht.
So wie es aussieht ist die Ironie tot. Wahrscheinlich ist sie bei einem Lachkrampf an ihrer eigenen Zunge erstickt.

Aber ich wollte heraus finden, was in der Küche los war. Also gehe ich zum Kühlschrank in dem natürlich nichts ungewöhnlich erscheint. Darin sitzt, was ich auch nicht ungewöhnlich finde, Helmut und spielt mit sechs wesentlich überlagerten Fruchtzwergen Activity.
„Klobürfte“
„Hundekufen“
„Beamtenftatuf“
„Lungenentzündung“ werfe ich ein.
„Vor sagen gilt nicht.“ antwortet Helmut, der gerade dran war mit dem Messer eine Zeichnung in die Butter zu ritzen.
„Tschuldigung, war gestern irgendjemand da, der sonst nie hier ist?“
„Ja.“ antwortet Helmut.
„Was hat er gemacht?“
„Er hat deinen Joghurt und deinen Käse genommen...“
„Klingt nift fonderlif ungewöhnlif.“ wirft einer der Fruchtzwerge ein.
„Und gegen andere der gleichen Marke ausgetauscht.“ vollendet Helmut seinen Satz.
„Daf ift ungewönlif“ bestätigt der Fruchtzwerg.
„Kannst du mir beschreiben wie der Typ aus sah?“
„Kann ich.“
Ich warte.
Helmut hat von mir gelernt, und nimmt mich Wort wörtlich um mich zu nerven.
„Dann mach es auch!“ fahre ich ihn an.
Die Beschreibung die ich bekomme passt exakt auf Jack.

Jack. Mein Bruder. Der Feind meiner Kindertage. Er ist hier um das Spiel von Damals weiter zu führen.
Kann er haben.

Während die Fruchtzwerge schon am nächsten Begriff rätseln.(„Hafe.“ „Häuffen“ „Meinft du jetzt Häuffen oder Häuffen?“ „H-ÄU-F-F-EN!!“ „Ah Häufchen, ne ift es nift“) werfe ich die von Jack vertauschten Lebensmittel weg. Ich will ja nicht, dass Jörg sich ernsthaft den Magen verdirbt, wenn er mein Essen stiehlt.

Jack also. Egal auf so etwas bin ich vorbereitet. Ich gehe zurück in mein Zimmer und suche die Kamera die er zweifellos irgendwo versteckt hat. Ich finde sie in meiner Gitarre aber lasse sie da. Wenn ich sie finden konnte, ist sie sowieso nicht die einzige. Dann setze ich mich so an meinen Laptop, dass nur die blanke Wand sehen kann was ich mache und lösche den Ordner mit dem Titel Coral User Files in dem ich alle Informationen über meinen Bruder, die ich für solch einen Notfall brauche, gespeichert habe. Er weiß, dass ich so einen Ordner habe, genau so wie ich weiß, dass er einen hat. (getarnt als „01 - beatsteaks - big attack.mp3“) Ich hab mir nicht die Mühe gemacht den Ordner gut zu verstecken, weil er ihn sowieso findet und verändert. Stattdessen tippe ich aus dem Gedächtnis eine Adresse bei Rapidshare ein und lade die Daten von dort neu runter. Niemand außer mir weiß, dass sie da liegen und so kann ich sicher sein, dass sie stimmen.

Es ist ein leichtes festzustellen, dass sein Handy seit drei Tagen nicht mehr aktiv war. Ebenso hat er vor einer Woche das letzte mal einen höheren Geldbetrag von seinem Konto abgehoben. Seine Kreditkarte ist unbenutzt und Payback Punkte sammelt er auch nicht. Und da ich schon mal im Polizeiserver bin, setze ich ihn gleich noch zur Fahndung aus.
Aber wirklich bringen tut mir das alles nichts. Ich wünschte ich könnte die Datenbank von Google knacken, dann wüsste ich was er recherchiert und damit wahrscheinlich auch vor hat. Aber die Datenbank von Google ist einfach wesentlich besser geschützt als die der Polizei.
Hilfreich wäre zu wissen in welchen Hotel er abgestiegen ist, aber er wird wohl kaum so dumm gewesen sein, sein eignen Namen da an zugeben. Und ich habe auch wenig Lust in den Hotels der Stadt herum zu fragen bis ich raus gefunden habe, dass er in einem Zelt irgendwo im Wald sitzt. Außerdem wird er sowieso zu mir kommen um mir wieder eins aus zu wischen. Schließlich ist er kein Camper.

Also muss ich nur die Augen auf halten, und mir was zu essen besorgen. Im McDonalds gegenüber bestelle ich mir einen Royal TS im Menü und eine Kirschtasche. Irgendwie fühle ich mich seltsam als ich da so stehe und warte. Jack könnte überall sein. Und wer sagt, dass ich ihn überhaupt erkenne, vielleicht hat er sich verkleidet. Ich schaue mich sorgsam um nur fällt mir nichts auf. Ich stecke schließlich das „Essen“ ein und verlasse den Laden um zurück in mein Zimmer zu gehen. Da fällt mir die Tüte aus der Hand wie Schuppen aus den Haaren. Hinten am Grill, das war Jack. Die langen Haare unter dem Haarnetz und der Bart. Er hat kein einziges mal herüber geschaut, ein weiteres Indiz. Dazu die unverwechselbare Überheblichkeit mit der er die Kirchtasche in die Ablage geworfen hat. Um das Essen ist es nicht schade, wahrscheinlich ist es eh nicht genießbar. Ich stürme in den Laden, springe über die Theke, stoße den Manager gegen die Fritteuse und stürze mich auf den Typen am Grill. Ich reiße ihm die Mütze vom Kopf. Aber es ist nicht Jack.
„Wo ist er!“ brülle ich ihn an.
„W-w-w-wer?“
„Jack!“
„W-w-w-w-wer?“
„Der bis eben noch die Brötchen gebrutzelt hat!“
„D-d-d-da...“ Er deutet zum Hinterausgang.
Ich springe auf, stoße den Manager gegen die Instantzwiebeln, und renne zur Tür. Im Aufenthaltsraum liegt eine McDonalds Uniform, die Hintertür steht offen. Ich stürme hinaus. Links in der Gasse läuft jemand. Ich hinterher. Er läuft zur Hauptstraße. Ich hinterher. Er verschwindet dort in einer Anti-Atomkraft-Demo und wird unauffindbar. Ich bleibe außerhalb stehen. Er ist weg.

Ich gehe zurück. In mein Zimmer und frage rein aus Interesse telefonisch im Rathaus an wer die Demo angemeldet hat. Es war ein gewisser Jack Kcaj. Er ist besser als ich gedacht hätte.

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