Montag, 14. April 2008

Das Leben ist ein Picknick im Grauen

Es ist früh am Morgen und die Mittagssonne scheint durchs Fenster auf mein Kopfkissen. Folglich bin ich wach. Nur habe ich keine Lust aufzustehen, wie eigentlich immer. Zum Glück muss ich das auch nicht. Es finden zwar heute Vorlesungen statt, aber keine zu der ich gehen will. So habe ich genügend Zeit mein Gesicht aus der Sonne zu zeihen und über das Leben nachzudenken. Eigentlich ist das Leben wie die Sonne, die morgens (oder halt mittags) durchs Fenster scheint: Unverbraucht, und irgendwie nervig.
Nur leider ist es wohl auch so ähnlich wie ich heute Morgen, zu träge um irgendwas zu ändern. Weshalb die Gardinen auch immer noch offen sind. Ich starre weiter an die Decke und denke, dass das Leben wenigstens nichts mit der Decke gemeinsam hat. Naja außer vielleicht, dass auch es die Reste von einem Haufen Leichen an sich kleben haben muss. Mückenleichen natürlich.
Aus diesen Gedanken, deren Sinnhaftigkeit selbst mir äußerst fragwürdig erscheint reißt mich mein Handy. Ich schau nach was es denn will, und es erinnert mich brav daran, dass ich heute mit Miranda ein Picknick geplant habe. Auch wenn sie das wohl etwas anders sieht, schließlich hat sie den ganzen Nachmittag über Übungen und so gar keine Zeit. Aber das ist ja kein wirkliches Problem. Trotzdem sollte es gelöst werden. Und da jedes Lösungsmittel vorbereitet werden muss werde ich wohl besser die Gemütlichkeit des Bettes verlassen.

Ich ziehe mich an und suche mir einen Teller um dort Kornflakes und Milch im Masseverhältnis eins zu drei zu vermischen.
So ein Handy ist auch wie das Leben. In den Händen von 14 Jährigen komplett ätzend.

Live is a bitch -, denke ich mir, als mir wenig später der Bus vor der Nase weg fährt, - it sucks.
Und der nächst Bus fährt erst in 15 Minuten. Aber wo ich schon bei Weisheiten aus dem Internet bin, wie heißt es so schön in einem Webcomic: „When life gives you crap, make Crap Golems.“ Also nutze ich die Zeit um mir aus der Leergutannahme des nächsten Supermarktes eine 1,5 Liter Mehrweg Flasche zu hohlen. Auch wenn der dortige Angestellte nicht sehr begeistert darüber war Leergut abzugeben anstatt anzunehmen. Ich konnte ihn schließlich dadurch überzeugen, dass ich furchtbar theatralisch in eine Palette Öttinger gefallen bin.
Niemand kann den Kram trinken, ich frage mich wie da eine ganze Palette leerer Kisten zusammen kommt. Aber es gibt wohl Leute deren Leben so genial toll ist, dass sie sich mit schlechtem Bier an die eigene Sterblichkeit erinnern müssen.
Aber egal wie das Zeug dahin gekommen ist, er muss die Scherben auffegen und ich nehme mir gemütlich die gewünschte Flasche mit.

Frei nach dem Motto „Das Leben ist Bewegung“ falle ich kurz darauf aus dem überfüllten Bus. Es ist schon faszinierend wie man auf die Idee kommen kann mitten am Tag auf einer viel benutzen Linie keinen Gelenkbus einzusetzen. Naja, man kann ja schon froh sein, dass sie nicht mit einem VW-Transporter kommen. Wobei das wirklich unwahrscheinlich währe. Ein Sprinter schon eher. Schließlich muss es ein Mercedes sein.
Aber wo ich nun endlich in der Uni bin kann ich mich auch gleich mal auf den Weg ins Rechenzentrum machen. Im RZ (ja genau das steht für Rechenzentrum) stehen gewöhnlich stapelweise Kartons von Monitoren, Druckern, Scannern, Rechnern und Nylonstrumpfhosen herum. Was die letzten da machen weiß auch hier keiner so genau, oder will es nicht verraten. Ich glaube ja das es etwas mit der Videoüberwachung, dem Putzpersonal, ein paar alten 5 Zoll Floppies, und einer seltsamen Fetischseite, die auf dem Webspace der Uni läuft, zu tun hat. Aber genaueres kann ich da echt nicht sagen. Schließlich finanziere ich mit dem Schweigegeld meine wöchentlichen Sauftouren.
Aber heute hohle ich kein Geld sondern nur die Verpackung eines Monitors. Ist zwar nicht so viel wert, aber der Zweck ist das Entscheidende.

Und dieser Zweck ist immer noch das Picknick, aber dazu fehlt mir noch eine wichtige Zutat: flüssiger Stickstoff. Flüssiger Stickstoff ist so quasi Grundnahrungsmittel für Physiker. Mit −196 °C ist es angenehm warm, jedenfalls im Vergleich zu Helium, und für jeden Mist zu gebrauchen. Zum Beispiel zum Eis machen, oder zum Bodennebel erzeugen, oder zum Rosen zersplittern oder zum Schlösser vereisen und es soll sogar Leute geben, die es benutzen um ihren Messaufbau zu kühlen.
Also bin ich kurze Zeit später im Keller bei den Leuten von der Stickstoffausgabe. Mich begrüßt ein Mann um die 30 im Blaumann.
„Hallo ich soll den Stickstoff für die Experimentalvorlesung holen.“
„Ach ja, Moment.“ Er schaut in einem Buch nach. Und ich hoffe, dass in der Experimentalphysik Vorlesung tatsächlich Stickstoff gebraucht wird.
„Da ist nichts bestellt.“ Mist.
„Ah ich mein ja auch die für die Chemiker.“
„Nein, da ist auch nichts.“ Hm, wieder nichts. Aber ich kann ja noch die Lehrstühle durch probieren.
„Ich wollt sagen Lehrstuhl Meier.“
„Nichts“
„Werner.“
„Nein.“
„Schneider.“
„Auch nichts.“
„Green.“
„Wieder nichts“ Langsam nervt es.
„Kasten Bier.“
„hm.. ja da habe ich was.“ Er grinst mich an.
„Gut kann ich es gleich mitnehmen?“
„Nein.“
„Wirklich nicht?“
„Ich brauche erst noch die Bestätigung von diesem Bier, Kasten.“
„Klar, besorg ich.“
Ja, Bier klappt doch immer wieder, nur muss ich erst einmal diesen Kasten besorgen. Und das möglichst zügig, bevor der Tag noch ohne das Picknick zu Ende geht.

Also biege ich in den Gängen des Kellers zweimal links ab und stehe vor der Mechanikwerkstadt. Der Ort in der Physik in dem es Kurbeln, Kraftdosen, Halterungen und eben Bier gibt, ob man es bekommt steht allerdings auf einem anderem Blatt. Und so wundert es mich eigentlich auch gar nicht, dass der anwesende Mitarbeiter mir kein Bier geben will, besonders weil ich auf die Frage was ich zahle spontan in Gelächter ausgebrochen bin.
„Ne ehrlich, kannst mir mal eben nen Kasten Bier geben?“
„Warum sollte ich?“
„Weil du mir einen Gefallen tun willst?“
Er schaut mich verdutzt an.
„Schulde ich dir einen Gefallen?“ er ist sich nicht sicher und wahrscheinlich könnte ich jetzt ja sagen und er würde es mir glauben. Aber ich will ihn ja nicht anlügen.
„Nein.“
Er ist immer noch verwirrt. „Und warum meinst du, dass ich dir einen Gefallen tun will?“
„Weil ich dir das Leben rette.“
Nun lacht er. Und ich verstehe nicht warum.
Wo sich doch gerade sein Halstuch (dass er hier sicher nicht tragen darf) unglücklich in einer Drehbank verwickelt hat und ich gefährlich nah am Schalter stehe. Und so komme ich wie zufällig auf den Schalter. Die Drehbank zieht sein Halstuch (welches er hier auf jeden Fall nicht tragen sollte) unaufhaltsam ein.
„HEEE“ brüllt er über die Betriebsgeräusche hinweg.
„Was?“
„AAHHHRR“
„Bier?“
„HRRRR“ Ich deute das als ein ja und stelle die Drehbank ab.
„Du.....Dre....“
„Du musst dich nicht bedanken,“ falle ich ihm ins Wort „War doch Ehrensache“
„Aber du Ars..“ Ich stelle die Drehbank wieder an.
„ERRRR.“
Ich stell sie wieder ab.
"Du mies.."
An.
"FRGGG"
Aus.
"Arsc"
An.
"RRAAAGGG"
Aus.
„Der Kasten steht da hinten.“
„Danke.“
Live is a bitch-, wird er sich jetzt wohl denken, -sooner or later it fucks you.

Ich gehe und tausche das Bier gegen 5 Liter flüssigen Stickstoff. Dann besuche ich meinem Spint um eine Decke zu besorgen, hinterher geht es auf das Dach des Mathematikgebäudes.
Dort halte ich mir die Ohren zu, stelle die Flasche unter den Karton, drehe sie zu, und fülle sie mit Stickstoff. In umgekehrter Reihenfolge.
Der Stickstoff verdampft und der Druck in der Flasche steigt. Bei geschätzten 17bar zerreißt es die Colaflasche. Der Knall ist Ohrenbetäubend und durch den Karton hauptsächlich nach unten gerichtet.
Was wohl auch der Grund ist, warum unter mir Studenten hektisch die Notausgänge aufsuchen. Irgendjemand löst sogar den Feueralarm aus. Braver Student. Während sich das Gebäude lehrt öffnet sich hinter mir die Tür zum Dach. Miranda ist da. Sie schaut mich leicht verwundert an.
„Tee?“ frage ich.
„Ja.“ meint sie kurz.
Ich schenke Tee aus einer Thermoskanne ein.
„Ich kann doch nicht zulassen, dass deine Übungen unser Picknick versauen.“
„Stimmt.“

So genießen wir bei anrückender Polizei und Feuerwehr den milden Nachmittag. Ich denke mir, dass das Leben wie ein Picknick auf dem Flachdach eines Unigebäudes ist, komplett schwachsinnig aber irgendwie lustig.

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